Der Fluch der bösen Tat: Verpflichtung zum Rückruf rechtswidrig in Verkehr gebrachter Ware

Insbesondere nach dem Markengesetz, dem Designgesetz, dem Patent- und Gebrauchsmustergesetz, aber auch nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist es untersagt, schutzrechtsverletzende Ware bzw. unlautere Nachahmungen im Inland anzubieten und in Verkehr zu bringen.

Der Gesetzgeber hat dem Schutzrechtsinhaber bzw. Marktteilnehmer effektive Unterlassungsansprüche zur Verfügung gestellt, die unter bestimmten Voraussetzungen auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden können.

Aufgrund der Enforcement-Richtlinie stehen dem Schutzrechtsinhaber zudem gesetzlich ausdrücklich geregelte Ansprüche u. a. auf Rückruf rechtsverletzender Ware aus den Vertriebswegen zu, die eigene Tatbestandsvoraussetzungen aufweisen. Für das UWG lässt sich ein solcher Anspruch zumindest aus dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch herleiten.

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in diesem Zusammenhang durch seine jüngere Rechtsprechung zum UWG zahlreiche interessante und für die Beratungspraxis äußerst relevante Feststellungen getroffen, aber auch Fragen aufgeworfen, welche für die übrigen Rechtsgebiete des Gewerblichen Rechtschutzes bedeutsam sind:

So soll ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch stets auch die Verpflichtung umfassen, den zu unterlassenden Störungszustand durch einen aktiven Rückruf der betroffenen Ware gegenüber Dritten, also den eigenen Abnehmern gegenüber, zu beseitigen.

Für die Beratungspraxis geht damit die Frage einher, wie der X. Zivilsenat des BGH sich in einer zum Patentrecht erwarteten Entscheidung zur territorialen Reichweite des in § 140a Abs. 3, S. 1, Alt. 1 Patentgesetz (PatG) ausdrücklich geregelten Rückrufanspruchs in Fällen mit Auslandsbezug äußern wird. Wird er einen ins Ausland gerichteten Rückrufanspruch bejahen? Wird diese Wertung in der Folge auch außerhalb des Patentrechts Geltung beanspruchen und sich auch auf den bloßen Unterlassungsanspruch auswirken?

  1. In seinem Beschluss vom 29.09.2016 „Rückruf von RESCUE-Produkten“ hat der I. Zivilsenat des BGH in Bezug auf ein im Hauptsacheverfahren zum UWG ergangenes Urteil festgestellt, dass die Verpflichtung zur Unterlassung einer wettbewerbswidrigen Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen ist, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasst. Dies kann die Verpflichtung beinhalten, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung des Störungszustands erforderlich ist. Danach muss ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produkts untersagt worden ist, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden.
  2. In seinem Urteil vom 19.11.2015 „Hot Sox“ hatte der I. Zivilsenat des BGH im Zusammenhang mit einem einstweiligen Verfügungsverfahren bereits festgestellt, dass die durch eine Unterlassungsverfügung verursachten Kosten des Rückrufs von vermeintlich nach dem UWG unlauteren Produktnachahmungen aus den Vertriebswegen einen gemäß § 945 Zivilprozessordnung (ZPO) ersatzfähigen Schaden darstellen können.
  3. Im Rahmen eines anhängigen Revisionsverfahrens wird der X. Zivilsenat des BGH sich mit der Auffassung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, wonach dem Anspruch auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse gemäß § 140a Abs. 3, S. 1, Alt. 1 PatG nicht entgegensteht, dass der Verletzer seinen Sitz im Ausland hat, befassen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 07.10.2015; insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Landgerichts (LG) Düsseldorf und des LG Mannheim).

Für die in der Beratungspraxis besonders häufig vorkommenden Verfügungsverfahren bedeuten diese Entscheidungen, dass eine auf eine Schutzrechtsverletzung oder einen Wettbewerbsverstoß gegründete bloße Unterlassungsverfügung auch die Verpflichtung zum aktiven Rückruf der streitgegenständlichen Waren aus den Vertriebswegen beinhalten kann und diese Maßnahme – aufgrund der zitierten Entscheidungen – stets in Erwägung gezogen werden muss!

Wird eine Unterlassungsverfügung zugestellt, genügt somit nicht mehr die bloße Einstellung der verbotenen Vertriebsaktivitäten und die damit einhergehende Entfernung der streitgegenständlichen Produkte aus den eigenen Absatzkanälen, um dem Unterlassungstenor gerecht zu werden. Die vom I. Zivilsenat des BGH für das UWG festgestellte Unterlassungs- bzw. Rückrufverpflichtung verpflichtet den Unterlassungsschuldner – zumindest im Regelfall – auch, auf Dritte, also seine Abnehmer einzuwirken und diese mit Nachdruck dazu aufzufordern, die streitgegenständliche Ware auf seine Kosten zurückzugeben, um einem Ordnungsgeld zu entgehen.

Umfasst diese Verpflichtung aber auch den Rückruf gegenüber dem im Ausland ansässigen Verletzer bzw. bereits im Ausland befindlicher Ware? Besteht eine solche Verpflichtung auch, wenn es sich „nur“ um eine vorläufige Unterlassungsverfügung und nicht um ein Unterlassungsurteil handelt?

Im Patentrecht wird der Erlass von einstweiligen Verfügungen, die auf einen Produktrückruf nach § 140a Abs. 3, S.1, Alt.1 PatG gerichtet sind als Vorwegnahme der Hauptsache überwiegend abgelehnt, deren Erlass jedoch allenfalls unter sehr engen Voraussetzungen diskutiert. Ein daneben bestehender, aus den allgemein-zivilrechtlichen Bestimmungen hergeleiteter Rückrufanspruch ist zwar auch im Patentrecht denkbar, dürfte aus dem genannten Grunde jedoch ebenfalls nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzbar sein. Diese Wertung müsste dann folgerichtig auch auf die bloße Unterlassungsverfügung nach dem PatG übertragen werden, die dann nicht im Sinne einer Rückrufverpflichtung auszulegen ist.

Geht man von einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache aus, dürfte eine Verpflichtung zum Rückruf ins Ausland gelangter Ware bzw. zum Rückruf gegenüber Verletzern mit Sitz im Ausland in patentrechtlichen Verfügungsverfahren nicht in Betracht kommen.

Gleichwohl stellt sich die Frage, ob eine für das Patentrecht angenommene Verpflichtung zum Rückruf mit Auslandsbezug auch in anderen Rechtsgebieten in Betracht kommt und dort ggf. sogar im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, mitunter sogar in Form von Unterlassungsansprüchen durchgesetzt werden könnte.

Der patentrechtliche Rückrufanspruch zielt nicht nur auf eine Vorbereitung des Vernichtungsanspruchs, sondern auch auf eine Marktbereinigung zu Gunsten des Patentinhabers ab, dem die Möglichkeit eingeräumt werden soll, die durch den Rückruf wieder hergestellte Nachfrage zu befriedigen. Sollte der X. Zivilsenat des BGH die Auffassung des OLG Karlsruhe und damit einen patentrechtlichen Rückrufanspruch mit Auslandsbezug billigen, spricht vieles dafür, diese Wertung generell auf den gesetzlich, insbesondere im Marken- ,Design- und dem Gebrauchsmustergesetz ausdrücklich geregelten Rückrufanspruch zu übertragen. Bspw. haben diese Normen ihre Grundlage jeweils in der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie. Ob dieser sondergesetzlich geregelte Rückrufanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann, ist sowohl in Bezug auf die technischen Schutzrechte, als auch im Marken- und Designrecht streitig. Gleichwohl wird er seiner Rechtsnatur nach als Beseitigungsanspruch und gerade nicht als Unterlassungsanspruch einzuordnen sein.

Der vom I. Zivilsenat des BGH festgestellte, dem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch innewohnende Rückrufanspruch soll eine Beendigung des mit einer Dauerhandlung einhergehenden Störungszustands bewirken. Damit knüpft der Senat an die Unterlassungsverpflichtung an.

Hierbei kann es an sich nur um eine Störung im Geltungsbereich des UWG, also innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gehen. Ist ausgeschlossen, dass von Deutschland aus ins Ausland verbrachte Ware wieder nach Deutschland gelangt, bzw. vom im Ausland ansässigen Verletzer wieder nach Deutschland zurück geliefert wird, ist eine Perpetuierung des zu unterlassenden Störungszustands nicht zu befürchten. Der dem Unterlassungsanspruch innewohnende Rückrufanspruch dürfte daher – vorbehaltlich anderer Anhaltspunkte – in der Regel nicht ins Ausland gerichtet sein. Hierfür kommt m. E. der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch in Betracht.

Wird eine einstweilige Verfügung zugestellt, ist in jedem einzelnen Fall und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen, ob der Unterlassungstenor zum Rückruf verpflichtet. Neben dem Unterlassungstitel sind insbesondere die Antragsschrift und der gesamte Parteivortrag im Verfügungsverfahren zu analysieren.

Nach Lage der Dinge zur Beseitigung des „zu unterlassenden Störungszustandes“ unmögliche oder unzumutbare Maßnahmen kommen nicht in Betracht. Dies gilt z. B. für den Rückruf verderblicher Ware. Allerdings kann der Rückruf von Werbematerial geboten sein, um dem Unterlassungstenor gerecht zu werden.

Ggf. ist mit dem Gegner proaktiv abzuklären, ob er tatsächlich einen Rückruf beabsichtigt hat, obwohl ihm im Falle der Aufhebung der Unterlassungsverfügung der Ersatz des Vollstreckungsschadens droht, § 945 ZPO. Dieser umfasst nach Auffassung des I. Zivilsenats des BGH auch die Kosten eines infolge der Unterlassungsverfügung durchgeführten Produktrückrufs.

Schließlich wird abzuwägen sein, inwieweit man dem Vollstreckungsdruck Stand hält, die Kundenbeziehungen schont und ein Ordnungsgeld in mitunter beträchtlicher Höhe in Kauf nimmt. Nicht jede einstweilige Verfügung hat Bestand; die Rechtslage und die Erfolgsaussichten eines Widerspruchsverfahrens sind sorgfältig zu prüfen.

Es bleibt festzuhalten, dass eine mitunter als „banal“ empfundene Rechtsverletzung, die im Rahmen des täglichen Geschäfts häufig vorkommt, dazu führen kann, dass mittels einer meist recht schnell erwirkten Unterlassungsverfügung und dem gebotenen Produktrückruf nachhaltig in die Kundenbeziehungen des Wettbewerbers eingegriffen wird. Das kann zu irreversiblen Schäden führen.

Wird ein Rückruf im Wege der Unterlassungsverfügung erwirkt, beinhaltet dieses Vorgehen aus Sicht des Gläubigers nicht nur Risiken, sondern birgt auch erhebliche Chancen. Die Folgen rechtswidrigen Verhaltens können auf dem Markt rasch und effektiv beseitigt werden.

Natürlich setzt dies voraus, dass eine Rechtsverletzung mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann.