Vergütung von Überstunden – Darlegungs- und Beweislast im Prozess

Maximal acht Stunden (Pausen nicht mitgerechnet) darf ein Arbeitnehmer arbeiten: so steht es in § 3 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Zu Überstunden ist er dabei nicht verpflichtet, es sei denn, es ist vertraglich so vereinbart oder es liegt ein Notfall vor. Dann kann die tägliche Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden erhöht werden.

Nun gibt es im laufenden Arbeitsverhältnis und häufig bei dessen Beendigung Streit um die Anzahl der geleisteten Überstunden, die der Arbeitnehmer je nach Vereinbarung vergütet oder in Freizeit abgegolten haben will.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich jüngst in einem Urteil zur Klärung solcher Ansprüche mit der sogenannten Darlegungs- und Beweislast der Arbeitnehmer befasst (Urt. v. 04.05.2022, 5 AZR 359/21). Die Darlegungslast bestimmt in einem gerichtlichen Verfahren den Zwang einer Partei, Tatsachen vorzutragen, die dann Basis der rechtlichen Prüfung sind. Bestreitet die andere Prozesspartei diesen Sachvortrag, hat die beweisbelastete Partei zudem die prozessuale Pflicht, streitige Tatsache auch nachzuweisen. Was bedeutet das nach der Entscheidung des BAG im Zusammenhang mit der Vergütung von Überstunden?

Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden – kurz zusammengefasst – zum einen darzulegen, dass er Arbeit in einem seine normale Arbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers dazu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zum anderen vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom BAG entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die jüngst vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) und vom BAG geforderten Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert.

Der Kläger des beim BAG geführten Revisionsverfahrens war als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt, beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger eine Überstundenvergütung in Höhe von EUR 5.222,67 brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Arbeitgeberin hat dies bestritten, insbesondere die behauptete Anzahl der Überstunden.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Emden hat der Klage stattgegeben. Es hat angenommen, durch das Urteil des EuGH vom 14.05.2019, C-55/18, wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei es, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die beklagte Arbeitgeberin ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat das Urteil des ArbG abgeändert und die Klage – mit Ausnahme bereits von der Beklagten abgerechneter Überstunden – abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Fünften Senat des BAG keinen Erfolg. Das BAG bestätigte die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken ist. Diese ist zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie finden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

Hiervon ausgehend hat das BAG zutreffend angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht. Es konnte daher offenbleiben, ob die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers, er habe keine Pausen gehabt, überhaupt stimmt.

Damit gilt für den Vergütungsanspruch eines Arbeitnehmers im Prozess folgendes:

In einer ersten Stufe muss der Arbeitnehmer, um erfolgreich Überstunden geltend machen zu können, zunächst vortragen, wann genau die Überstunden angefallen sind. Hierbei ist es erforderlich, die Normalarbeitszeit inklusive der geleisteten Pausen sowie die Überstunden im Einzelnen zeitlich genau vorzutragen. Der Arbeitnehmer muss also grundsätzlich auch darlegen und beweisen, in welchem Umfang die Normalarbeitszeit auf Anweisung des Arbeitgebers überschritten wurde. Das BAG hat in der Vergangenheit bereits hierzu konkretisiert, dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast für die Leistung von Überstunden in der ersten Stufe jedoch zunächst genügt, wenn er schriftlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (Urt. v. 21.12.2016, 5 AZR 362/16).

In der zweiten Stufe muss der Arbeitnehmer eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber vortragen, nämlich wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat. Für eine konkludente Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Das BAG stellte allerdings klar, dass allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs keine Vermutung dafür begründe, dass Überstunden zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind.

Mit der ausdrücklichen oder konkludenten Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Dazu muss der Arbeitnehmer aber darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein. Dies muss nicht ausdrücklich erfolgen und kann insbesondere anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter des Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis mit einer Überstundenleistung ausdrückt. Die widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitsaufzeichnungen reicht allerdings nicht aus.

Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden zu unterbinden. Dazu muss der Arbeitnehmer vortragen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat.