Wann geht eigentlich eine E-Mail zu?

Es ist schon lange absolut üblich auch im geschäftlichen Verkehr vornehmlich eilige Kommunikation per E-Mail zu führen. Dies gilt insbesondere, da heute immer mehr Unternehmen gar nicht mehr per Fax kommunizieren. In der geschäftlichen Kommunikation kommt es häufig darauf an, wann dem Gegenüber ein Schreiben auch wirklich zugegangen ist. Zu denken ist dabei unter anderem an die Einhaltung von Fristen. Nun stellt sich aber die Frage, wann eine E-Mail rechtlich als zugegangen gilt.

Dazu sind in diesem Jahr zwei beachtliche Entscheidungen ergangen, die auch zeigen, wie genau man aus rechtlicher Sicht vorgehen muss. In beiden Fällen ging es nicht um die Frage, ob die E-Mail überhaupt in dem Postfach des Empfängers angekommen ist. Dies muss im Streitfall immer der Absender beweisen. Es ging um die Frage, wann die im Postfach des Empfängers eingegangene E-Mail als zugegangen im rechtlichen Sinne anzusehen ist.

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in einer wettbewerbsrechtlichen Angelegenheit im März 2022 beschlossen (B. v. 09.03.2022, 4 W 119/20):

„Wird ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat.“

Begründet hat das OLG Hamm dies mit guten Argumenten wie folgt: Aufgrund des Virenrisikos werde allgemein davor gewarnt, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen. Dann könne von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen.

Unter Beachtung dieser Auffassung – die auch in der namhaften Kommentarliteratur vertreten wird – ist also zumindest dann, wenn der Empfänger die E-Mail-Adresse des Absenders nicht schon aus vorausgegangener Korrespondenz kennt, große Vorsicht geboten. Etwaige Schreiben, die der Fristwahrung dienen oder bei denen aus anderen Gründen der Zeitpunkt des Zugangs belegt werden muss, sollten keinesfalls nur als Anhang zu einer E-Mail versandt werden. Wenn man den maßgeblichen Inhalt (zusätzlich) in die E-Mail selbst und nicht nur in den Anhang schreibt, kann dies unter Beachtung der Rechtsprechung des OLG Hamm ausreichen. Auch dann muss man natürlich den Erhalt der E-Mail durch den Empfänger belegen können.

Nur sieben Monate später hat der Bundesgerichtshof (BGH) zu der Frage des Zugangs einer E-Mail ausgeführt (Urt. v. 06.10.2022, VII ZR 895/21):

„Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.“

Der BGH begründet dies mit ebenfalls guten Argumenten: Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.

Nun scheint es auf den ersten Blick einen klaren Widerspruch zwischen den beiden Entscheidungen zu geben. Der BGH erwähnt aber die Entscheidung des OLG Hamm in seinem Urteil gar nicht. Dies wäre aber erforderlich, wenn er sich mit seiner Entscheidung von der Auffassung des OLG Hamm abgrenzen möchte. Das musste er aber nicht, denn in der Entscheidung des BGH ging es um die Frage, wann im geschäftlichen Verkehr die E-Mail als solche als zugegangen gilt. Das OLG Hamm hatte die spezifischere Frage behandelt, wann ein Anhang einer E-Mail als zugegangen gilt. Es gibt also bei genauerem Hinsehen keinen echten Widerspruch zwischen den beiden Entscheidungen. Da nach der Auffassung des BGH aber die E-Mail mit dem Zugang in dem Postfach zu üblichen Geschäftszeiten unabhängig von der Kenntnisnahme gilt, könnte man auch die Auffassung vertreten, dass dies dann ja auch für den (nicht zur Kenntnis genommenen) Anhang gilt. Es ist also nicht abschließend klar, ob der BGH zur Frage, über die das OLG Hamm zu entscheiden hatte, zu einer anderen Auffassung gelangt wäre, als das OLG Hamm.

Daher sollte man auf Absender- und Empfängerseite sicherheitshalber von folgenden Ansichten ausgehen:

  • Als Empfänger sollte man aufgrund der Entscheidung des BGH davon ausgehen, dass eine zu den üblichen Geschäftszeiten in dem Postfach eingegangene E-Mail unabhängig von der Kenntnisnahme einschließlich eines Anhangs als zugegangen gilt.
  • Als Absender einer E-Mail sollte man aufgrund der Entscheidung des OLG Hamm davon ausgehen, dass zumindest ein nur als Anhang zu einer E-Mail versandtes Schreiben erst dann zugegangen ist, wenn der Empfänger dies auch wirklich gelesen hat und auch, dass er nicht dazu verpflichtet ist, es zu lesen (Risiko der Virenlast).

Dass man auf beiden Seiten immer gut mit der jeweiligen Rechtsauffassung und auch den feinen Unterschieden im Sachverhalt, über den das OLG Hamm bzw. der BGH jeweils zu entscheiden hatten, in beide Richtungen argumentieren kann, steht auf einem anderen Blatt. Gleiches gilt für die Frage, ob man nun ggf. Rechtsvorteile dadurch erlangen kann, dass man einen Anhang einer E-Mail einfach nicht öffnet. All das ist dann der Kunstfertigkeit Ihrer Rechtsanwältin bzw. Ihres Rechtsanwaltes überlassen.