Mit Rücksicht auf die Gründer: Haftungsrisiken bei StartUp-Unternehmen

Die Szene für junge und innovative Unternehmen ist auch in Deutschland in den vergangenen Jahren erfreulicherweise erheblich in Bewegung gekommen. Im Wirtschaftsleben hat sich für solche Unternehmen der Begriff „Startup“ längst etabliert, obwohl hierfür keine allgemeingültige Definition oder gar eine rechtlich eigenständige Unternehmensform besteht. Prägend für ein Startup ist im Wesentlichen, dass es durch ein neu konzipiertes Geschäftsmodell versucht, innovative Produkte oder Leistungen bis zur Marktreife zu entwickeln und auf dem Weg dorthin bewusst auf Investitionen und Wachstum setzt und Profitabilitätsaspekte dabei zwangsläufig zunächst auf der Strecke bleiben.

Verluste in der Anlaufphase solcher Unternehmen sind also einkalkuliert und bedürfen der Finanzierung, die mangels Alternativen durch Wagniskapitalgeber bereitgestellt wird. Diese steigen häufig bereits in der Frühphase des Startup und in mehreren Finanzierungsrunden mit Fremd- bzw. Eigenkapital oder durch mezzanine Finanzierungsformen bei dem Unternehmen in der Hoffnung auf eine zukünftige Beteiligung an Exit-Erlösen (nach einem Verkauf oder gar einem Börsengang) ein. Financiers sind dabei nicht nur institutionelle Venture-Capital-Gesellschaften, sondern auch Privatinvestoren (sog. Business Angels) oder rekrutieren sich aus alternativen Finanzierungsformen, wie z.B. Crowdfunding. Die Volumina der Investitionen in Startups haben sich in Deutschland zuletzt stark erhöht. Nach durchschnittlich ca. EUR 4,5 Mrd. p.a. in den Jahren 2015 bis 2020 sprang das Investitionsvolumen in 2021 zuletzt auf ein Niveau von ca. EUR 17 Mrd. In Deutschland ist die Startup-Szene besonders in den Geschäftsfeldern Informations- und Kommunikationstechnik (ca. 30 % aller einschlägigen Unternehmen) und Medizintechnik und Biomedizin (ca. 10 %) aktiv.

Startups stellen keine selbstständige Rechtsform dar, sondern organisieren sich in bekannten rechtlichen Strukturen, insbesondere als GmbH oder kleine Aktiengesellschaft. Die für diese Rechtsform geltenden gesetzlichen Haftungsvorschriften sehen u.a. eine Ersatzpflicht für Geschäftsführer bzw. Vorstände für Zahlungen vor, die nach Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unter Missachtung der Insolvenzantragspflicht noch an Dritte, z.B. Lieferanten, Dienstleister oder Lizenzgeber, geleistet worden sind. Dass hierbei jedoch den Besonderheiten des Geschäfts- und Finanzierungsmodells bei Startups Rechnung getragen werden muss, verdeutlicht eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (B. v. 20.07.2021, I 12 W 7/21). In dem dort entschiedenen Sachverhalt nahm der Insolvenzverwalter eines bereits in der Anlaufphase gescheiterten Startups, dessen Geschäftsmodell auf die Einrichtung eines Vertriebsportals für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge ausgerichtet war, den Geschäftsführer auf Erstattung von nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleisteter Zahlungen in Anspruch. Zur Begründung führte er an, das Unternehmen sei bereits zum Zeitpunkt der Zahlungen überschuldet gewesen, wobei die reinrechnerische Überschuldung des Startup infolge der bereits angefallenen Anlaufverluste zwischen allen Prozessbeteiligten unstreitig war.

Daher kam es nun entscheidend auf die Frage an, ob der Geschäftsführer zum Zeitpunkt der Zahlungen berechtigterweise von einer für ihn haftungsausschließenden sog. positiven Fortführungsprognose für das Startup hätte ausgehen können. Eine solche Fortführungsprognose beinhaltet die Vorhersage über die zukünftigen Geschäftsverläufe und die künftige, jedenfalls mittelfristige (mindestens ein Jahr) Fähigkeit des Unternehmens, seinen fällig werdenden Verbindlichkeiten nachkommen zu können. Es stellt sich dabei also letztlich die Frage nach der Finanzkraft und wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit eines Unternehmens. Dabei ist im Normalfall auch auf die Ertragsfähigkeit, also die Fähigkeit des Unternehmens, durch geschäftliche Tätigkeit am Markt Gewinne zu erzielen, zu berücksichtigen. Fehlt diese, ist regelmäßig nicht mehr von einer positiven Fortführungsprognose auszugehen. Dementsprechend nahm der klagende Insolvenzverwalter an, dass eine positive Fortführungsprognose für das Startup nicht mehr bestanden habe, da dieses ja dauerhaft Verluste erwirtschaftet habe. Demgegenüber berief sich der Geschäftsführer darauf, dass er auf die ständige und auch in die Tat umgesetzte Finanzierungsbereitschaft des alleinigen Investors habe vertrauen können. Dieser hatte das Startup nach jeweiliger Vorlage aktualisierter Geschäftszahlen und nach Konkretisierungen des Geschäftsmodells weiterhin mit finanziellen Mitteln ausgestattet.

Das OLG Düsseldorf folgte im Ergebnis der Argumentation des Beklagten. Abweichend von den auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgesegneten Grundsätzen nahm das Gericht für ein Startup an, dass es auf die Ertragsfähigkeit, also die Selbstfinanzierungskraft des Unternehmens, für die Beurteilung der Fortführungsprognose nicht ankommen könne, da es ja gerade in der Natur des Geschäftsmodells eines Startup liege, jedenfalls in der Anlaufphase noch keine Gewinne erzielen zu können. Maßgeblich sein müsse vielmehr, ob sich der hinreichende Grad der Wahrscheinlichkeit für die Überlebensfähigkeit des Unternehmens aus tragfähigen Planungen für das Geschäftsmodell, bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum der Fortführungsprognose, und einer mit ebenso hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Bereitschaft der Investoren, das Unternehmen weiterhin mit Fremd- und/oder Eigenkapital zu stützen, ergebe. Das OLG Düsseldorf sah es im entschiedenen Fall in Ansehung der konkreten Verhältnisse als erwiesen an, dass das Startup überzeugende und belastbare Planungen und Annahmen für die weitere Entwicklung des Unternehmens habe vorlegen können, auf deren Grundlage dann der Investor jeweils weitere finanzielle Zusagen gemacht und umgesetzt habe. Dies habe aus Sicht des Geschäftsführers berechtigterweise die Beurteilung zugelassen, dass die Gesellschaft auch in der Zukunft, jedenfalls bis zur Aufgabe der Bereitschaft des Investors zur weiteren Investition in das Startup, sein Geschäftsmodell weiter fortführen könne.

Mit dieser Entscheidung werden die bereits einmal schon in der bekannten „Dornier“-Entscheidung des BGH (Urt. v. 13.07.1992, II ZR 269/91) begründeten Beurteilungskriterien für ertragslose Unternehmen mit zukunftsorientiertem Geschäftsmodell bekräftigt. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die Besonderheiten der Entwicklungsphasen von Startup-Unternehmen nun auch in die Rechtsprechung der Gerichte Eingang gefunden haben und Haftungsrisiken für Geschäftsführer und Gründer somit einer praxisnahen Bewertung unterliegen. Allerdings sollte die Entscheidung nicht zu Nachlässigkeiten bei der Bewältigung der einschlägigen Risiken verführen. In den Genuss der Grundsätze wird auch zukünftig nur derjenige kommen können, der sorgfältig auf die frühzeitige Dokumentation hinreichend aussagekräftiger Unternehmensplanungen für die Beurteilung der positiven Fortführungsprognose Wert legt und der zudem darauf achtet, in ständigem Austausch mit seinen Investoren deren weitere Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung des Startup zu sichern.