Ein „Hattrick“ beim EuGH

Nicht jede wettbewerblich bedenkliche Handlung bedeutet automatisch einen Verstoß gegen das Kartellverbot oder das Verbot des Marktmachtmissbrauchs, gerade in Bereichen, die dem wirtschaftlichen Wettbewerb einigermaßen fern sind. Die damit verbundene Frage, ob die vorbenannten kartellrechtlichen Gebote auch im Bereich des Sport Geltung erlangen, bejahte der EuGH für Beschlüsse und Satzungen von Sportverbänden im Jahr 2006 in der Rechtssache Meca-Medina (Urt. v. 18.07.2006, C-519/04 P). In gleich drei recht plakativen Sachverhalten hat der EuGH die wesentlichen Eckpunkte dieser Rechtsprechungslinie gleichsam verschoben und weitere Elemente in die kartellrechtliche Beurteilung eingeführt.

Meca-Medina

Das Kartellrecht sei, so der EuGH in der Rechtssache Meca-Medina, jedenfalls im Grundsatz durch Sportverbände zu beachten, wenn sie unternehmerisch tätig werden und die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit der Wettbewerber, der Marktgegenseite oder auch Dritter etwa in Form von Verbandsstatuten und darauf fußenden Maßnahmen beschränken. Mit Blick auf die Relevanz der Verbandsarbeit, sei jedoch weder das Kartellverbot noch das Verbot des Marktmachtmissbrauchs anwendbar, wenn der Sportverband mit den Verbandsstatuten eine legitime Zielsetzung verfolge, die mit den Statuten verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen notwendig mit der Verfolgung der genannten Ziele zusammenhingen und wenn sie im Hinblick auf die Erreichung dieser Ziele verhältnismäßig seien. Dieser dreistufige Meca-Medina-Test führt zu einer sogenannten Tatbestandsrestriktion; bisher galt: Sind die Statuten und Maßnahmen der Sportverbände geeignet, erforderlich und angemessen, bleiben Kartellverbot und das Verbot des Marktmachtmissbrauchs unangewendet.

Eislaufunion

Obgleich der Dreischritt des Meca-Medina-Tests auf den ersten Blick durchaus einzuleuchten vermag, blieben zahlreiche Fragen in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten seines Bestehens ungeklärt. Zunächst war es jüngst der Fall der International Skating Union (ISU), der den EuGH zu weiteren Ausführungen veranlasste.

Nach den Statuten der ISU wird ein Sportler mit einer lebenslangen Sperre für alle von der ISU organisierten Wettbewerbe belegt, wenn er an einem nicht durch die ISU genehmigten Wettbewerb teilnimmt. Die Europäische Kommission als oberste europäische Kartellbehörde sah darin einen Verstoß gegen das Kartellverbot. Der EuGH schloss sich dieser Einschätzung an (Urt. v. 21.12.2023, C-124/21 P), dass das ISU-Regelwerk am europäischen Wettbewerbsrecht zu messen sei, wobei die jeweiligen Aspekte des Sports umfassend nicht etwa im Rahmen des Meca-Medina-Tests, sondern im Rahmen der Frage zu berücksichtigen seien, ob die Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt werde. Der Genehmigungsvorbehalt der ISU sei, auch mangels transparenter und diskriminierungsfreier Kriterien, dabei eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, weil damit der Marktzugang potenziell konkurrierender Veranstalter verschlossen werde.

Bemerkenswert ist daher, dass der EuGH nicht zu einer Tatbestandsrestriktion im Sinne des Meca-Medina-Tests fortfährt: Da es sich nicht um eine bewirkte, sondern um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung gehandelt habe, finde dieser Test, so der EuGH, keine Anwendung. Damit führt der EuGH einen weiteren kartellrechtlichen Maßstab ein, der in der bisherigen Entscheidungspraxis zum Sportkartellrecht kaum Erwähnung fand. Dabei gilt, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen schon ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb sind. Für eine solche Wettbewerbsbeschränkung ist es nicht erforderlich im Einzelnen die Auswirkungen auf dem Markt zu untersuchen; es genügt das Potential negativer Auswirkungen. Eine konkrete Prüfung müssen Kartellbehörden nur bei bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen durchführen, weil es ausschließlich auf die tatsächliche Auswirkung der Maßnahme ankomme. Ob eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung besteht, wird dabei üblicherweise anhand der fiktiven Wettbewerbsverhältnisse geprüft, die ohne die Statuten bestünden.

Superliga

Auch die Entscheidung zur European Super League (ESL) befasst sich mit Genehmigungsvorbehalten (Urt. v. 21.12.2023, C-333/21):  Die durch europäische Profifußballvereine gegründete ESL begegnete dem Widerstand sowohl der FIFA als auch der UEFA, die jeweils auf ihre, der Gründung einer solchen Liga entgegenstehenden Statuten verwiesen.

Auch in dieser Rechtssache hält der EuGH fest, dass das Verhalten der UEFA und FIFA zwar im jeweiligen Kontext, aber doch am Kartellverbot und am Verbot des Marktmachtmissbrauches zu messen sei. Insbesondere für den Marktmachtmissbrauch betont der EuGH, dass dieser nicht nur dann vorläge, wenn Wettbewerb tatsächlich eingeschränkt werde, sondern schon dann, wenn der Zweck verfolgt werde, ebenso effiziente, potenziell konkurrierende Unternehmen bereits in einem so frühen Stadium so zu behindern, dass die Entwicklung des Wettbewerbs in Zukunft unterbunden werde. Da FIFA und UEFA mit Blick auf ihre Genehmigungs- und Kontrollbefugnisse die Einrichtung und Organisation konkurrierender Fußballwettbewerbe durch Dritte in der Hand hätten, seien sie auch marktbeherrschend bei der Organisation und Vermarktung internationaler Fußballwettbewerbe.

Nahezu wortlautgleich zur Rechtssache ISU hält der EuGH schließlich fest, dass die bestehenden Statuten weder transparent, objektiv, präzise noch nichtdiskriminierend seien. Es handele sich somit eine um bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Entsprechend zur Rechtssache ISU sei der Meca-Medina-Test nicht auf bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar.

Royal Antwerp

Schließlich können nicht nur Genehmigungsvorbehalte gegen das Kartellverbot verstoßen, sondern auch Kadervorgaben. Sowohl die UEFA wie auch der Königlich-Belgische Fußballverband schreiben vor, dass der Kader von Profifußballvereinen eine bestimmte Anzahl selbst ausgebildeter Nachwuchsspieler aufweisen müsste. Ein Profifußballer und der Royal Antwerp FC erhoben gegen diese Regelungen mit der Begründung Klage, dass hierin ein Verstoß gegen das Kartellverbot liege.

Auch in dieser dritten Entscheidung (Urt. v. 21.12.2023, C-680/21) betont der EuGH eingangs, dass die angegriffenen Vorschriften dem europäischen Kartellrecht unterlägen und betont wiederum die dieser Branche inhärenten besonderen Merkmale. Für die Frage, ob mit den Kaderanforderungen eine bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung verbunden sei, fallen die „Segelanweisungen“ anders aus: Der EuGH betont zwar, dass mit dem Erfordernis der Nachwuchsspieler eine Beschränkung einer wesentlichen Ressource verbunden sei, gibt aber für die Frage einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu bedenken, dass es für die Dachverbände durchaus legitim sein könnte, die Kaderzusammenstellung zu regeln.

Resümee

Mit den drei jüngsten Entscheidungen des EuGH gerät der Meca-Medina-Test und die Ausnahme für rein-sportliche Regelungen aus dem Fokus. Stattdessen werden in Zukunft transparente, objektive, präzise und nichtdiskriminierende Statuten der Sportverbände und auch ihre nicht-unternehmerischen Regelungen deutlich in den Vordergrund gerückt.

  • Prof. Dr. Thomas Thiede, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Deutsches und europäisches Kartellrecht / Fusionskontrolle
    • Honorarprofessor der Karl-Franzens-Universität Graz