Geschäftsführerhaftung – Pflicht zur Einführung des Vier-Augen-Prinzips bei „kritischen Arbeitsprozessen“

Die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) sind verpflichtet, in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Verstoßen sie gegen diese Verpflichtung, haften sie der Gesellschaft gem. § 43 Abs. 2 GmbHG gesamtschuldnerisch für den entstandenen Schaden.

Welche Pflichten die Geschäftsführer im Einzelfall trifft, hat die Rechtsprechung in einer Vielzahl von Entscheidungen konkretisiert. Bei einer Analyse der Entwicklung dieser Rechtsprechung ist zu beobachten, dass die Sorgfaltsanforderungen, die an Geschäftsleitungsorgane gestellt werden, immer strenger werden.

Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat nun die Rechtsprechung des BGH aufgegriffen, nach der „der Geschäftsführer … das von ihm geführte Unternehmen so organisieren (muss), dass er jederzeit Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft hat. Dies erfordert ggf. ein Überwachungssystem, mit dem Risiken für Unternehmensfortbestand erfasst und kontrolliert werden können.“ (Urt. v. 30.03.2022, 12 U 1520/19).

Der Geschäftsführer ist in diesem Zusammenhang insbesondere „zur Einrichtung eines Compliance Management Systems verpflichtet, also zu organisatorischen Vorkehrungen, die die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter verhindern. Dabei ist der Geschäftsführer nicht nur verpflichtet, den Geschäftsgang so zu überwachen oder überwachen zu lassen, dass er unter normalen Umständen mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann; er muss vielmehr weitergehend sofort eingreifen, wenn sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen.“

Das OLG Nürnberg hat diese Pflichten des Geschäftsführers dahingehend konkretisiert, dass die Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet sind, im Rahmen sog. „kritischer Arbeitsprozesse“, also Prozessen, die bei einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung Personenschäden oder erhebliche finanzielle Auswirkungen zur Folge haben können, das Vier-Augen-Prinzip (engl.: „two-man rule“) einzuführen.

Im konkreten vom OLG Nürnberg entschiedenen Sachverhalt war dem gegen seinen ehemaligen Geschäftsführer klagenden Mineralölunternehmen ein Schaden dadurch entstanden, dass Mitarbeiter Tankkarten an Kunden ausgegeben haben (soweit entsprach dies dem Geschäftsmodell), einige Kunden das Limit der Karten aber überschritten haben, hiergegen nichts unternommen wurde und einzelne dieser Kunden anschließend insolvenzbedingt ausfielen. Dieser Schaden – so das OLG Nürnberg – sei zu verhindern gewesen, wenn die Geschäftsführung im Rahmen der Verwaltung und Ausgabe von Tankkarten eine Kontrolle mittels Vier-Augen-Prinzip eingeführt hätte. Das OLG Nürnberg verurteilte den beklagten Geschäftsführer zum Ersatz des dem Unternehmen durch den Ausfall seiner Kunden entstandenen Schaden in Höhe von ca. EUR 800.000.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist richtungsweisend, da das Gericht eine konkrete Compliance-Maßnahme unter Umständen als verpflichtend ansieht, obwohl es allgemeiner Meinung entspricht, dass bei der Einführung geeigneter Compliance-Maßnahmen ein Ermessen der Geschäftsführung besteht. Gleichzeitig finden die in der Entscheidung herangezogenen Grundsätze auch Anwendung auf Leitungsorgane anderer Gesellschaften (z.B. Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften, Offene Handelsgesellschaften) oder auch von Vereinen. Denn auch die dort gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Leitungsorgane trifft die Verpflichtung, nach dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmannes zu handeln. Deshalb ist es empfehlenswert, eigene „kritische Arbeitsprozesse“ zu prüfen und ggf. das Vier-Augen-Prinzip einzuführen.