Mit der Abrissbirne an die VOB/B – BGH kassiert auch § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B

Der Bundesgerichtshof (BGH) arbeitet an der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) weiterhin mit der Abrissbirne und macht damit deutlich, dass eine Überarbeitung der VOB/B und deren Anpassung an das „neue“ Bauvertragsrecht (2018 eingeführt!) dringend erforderlich und längst überfällig ist. Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, sodass sie der Einzelkontrolle nach dem AGB-Recht unterliegt, hält nach dem BGH auch § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand.

Anlass für die Entscheidung des BGH (Urt. v. 19.01.2023, VII ZR 34/20) war ein Fall, der sich allerdings schon vor Einführung des neuen Bauvertragsrechts abspielte. In einem 2004 abgeschlossenen Vertrag ist wohl auf Veranlassung des Auftraggebers (AG) die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung, allerdings nicht vollständig bzw. änderungsfrei einbezogen worden. Auftraggeberseits wurde der Vertrag später vor Abnahme wegen aufgetretener Mängel in der Errichtungsphase gekündigt. Dies gab dem BGH im Revisionsverfahren die Möglichkeit, die Wirksamkeit von § 4 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) zu prüfen. Hiernach kann nämlich ein AG bei während der Leistungsausführung aufgetretenen Mängeln nach erfolgloser Fristsetzung und Ablehnungsandrohung den Bauvertrag fristlos kündigen.

Der BGH interpretiert die Klausel im Rahmen der AGB-rechtlichen Einzelkontrolle so, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit – bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – ausgesprochen werden kann, weil die Klausel hierzu keinerlei Einschränkung enthält. Ausgehend hiervon widerspricht die Klausel dem gesetzlichen Leitbild i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und ist deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Kündigungsregelung nach § 4 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist im Rahmen der Einzelkontrolle anhand der richterrechtlich entwickelten Grundsätze zu messen, nach denen der AG einen Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann. Dieses Recht ist für ab dem 01.01.2002 geschlossene Verträge durch die Rechtsprechung anerkannt und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB. Dieser Rechtsgedanke ist im neuen Bauvertragsrecht durch § 648a BGB übernommen worden. Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer (AN) durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage derart erschüttert hat, dass dem AG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung während der Ausführung, also vor Abnahme, kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des AN (der AN darf schließlich leisten, wie er will, sofern sein Werk bei Abnahme vertragsgerecht ist) nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Vertragsfortsetzung für den AG unzumutbar machen. Ein berechtigtes Interesse des AG, die Fertigstellung durch den AN nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen. Die Kündigungsregelung in § 4 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) weicht demnach von diesen wesentlichen Grundgedanken ab und ist unwirksam. (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 VOB/B (2002) bleibt im Übrigen – soweit die Bestimmung nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) rückbezogen ist – wirksam.)

Praxishinweis

Für die Vertragsgestaltung ist es daher erforderlich, die jeweiligen Klauseln an den AGB-rechtlichen Prüfungsmaßstab anzupassen oder aber die VOB/B insgesamt und ohne inhaltliche Abweichung zu übernehmen. Für ersteren Fall gibt der BGH selbst Hinweise in seinem Urteil. Im letzteren Fall ist die VOB/B als in sich ausgewogenes Klauselkonstrukt anerkannt und einer Inhaltskontrolle der einzelnen Klauseln entzogen.