Fiktion: Weiterhin Gesellschafter trotz Untergang des Anteils?

Es ist mittlerweile über zehn Jahre her, dass der Gesetzgeber durch eine Änderung des GmbH-Gesetzes die Bedeutung der sog. Gesellschafterliste (§ 40 GmbHG) stark aufwertete.

Maßgeblich ist insoweit vor allem die Regelung in § 16 Abs. 1 GmbHG, wonach im Verhältnis zur Gesellschaft bei Änderungen im Gesellschafterkreis nur derjenige als Anteilsinhaber gilt, der als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Maßgeblich ist dies u.a. für die Frage, wer zu einer Gesellschafterversammlung einzuladen und dort stimmberechtigt ist. Überträgt ein GmbH-Gesellschafter seine Beteiligung auf einen Dritten, ist trotz Wirksamkeit der Übertragung solange noch der bisherige Anteilsinhaber zu Gesellschafterversammlungen einzuladen, solange noch keine neue Gesellschafterliste in das Handelsregister aufgenommen wurde.

Bis vor kurzem war nicht geklärt, ob die Regelung des § 16 Abs. 1 GmbHG auch im Falle einer Anteilseinziehung gilt. Bei einer Einziehung eines Anteils kommt es gerade nicht dazu, dass ein bestehender Anteil auf einen anderen übergeht. Die Einziehung eines Anteils führt vielmehr zur Vernichtung des betroffenen Gesellschaftsanteils. Durchaus gewichtige Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertraten die Auffassung, dass im Falle einer Einziehung eines Geschäftsanteils die Regelung des § 16 Abs. 1 GmbHG nicht greife. Das zentrale Argument: § 16 Abs. 1 GmbHG betreffe nur die Zuordnung eines existierenden Anteils, könne aber keinen tatsächlich nicht vorhandenen Anteil fingieren.

Mit seiner aktuellen Entscheidung vom 20.11.2018 (II ZR 12/17) hat der Bundesgerichtshof (BGH) dieser Sichtweise nun eine Absage erteilt. Der BGH entschied, die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG greife auch bei eingezogenen Geschäftsanteilen.

Die Entscheidung hat starke Auswirkungen auf die Taktik in streitigen Gesellschafterversammlungen. So wird sich ein die Einziehung betreibender Gesellschafter nicht mehr darauf berufen können, der vormalige Inhaber des eingezogenen Geschäftsanteils sei im weiteren Verlauf der Gesellschafterversammlung nicht mehr stimmberechtigt, da er aufgrund der Einziehung nicht mehr Gesellschafter sei. Erst mit der Aufnahme der neuen Gesellschafterliste, die den fraglichen Gesellschafter nicht mehr aufweist, ist der Inhaber des eingezogenen Geschäftsanteils im Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr Gesellschafter.

  • Kay U. Koeppen, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
    • Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht