Was macht „Luxus“ aus? Von selektiven Vertriebssystemen sowie Plattform- und Suchmaschinenverboten

Auch bei den Wettbewerbsbehörden und Gerichten in Europa ist angekommen, dass die Bedeutung des Internethandels ständig steigt (siehe bereits Bericht aus Mandanteninformation November 2016 zur Sektoruntersuchung „E-Commerce“ der Europäischen Kommission). Sie haben daher in der Vergangenheit bereits zu Aspekten der Frage Stellung bezogen, ob und wie Hersteller beziehungsweise Markeninhaber den Vertrieb ihrer Produkte im Internet kartellrechtskonform kontrollieren können – allerdings ergab dies ein zum Teil sehr uneinheitliches Bild. In einer vielfach erwarteten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) vom 6. Dezember 2017 sowie in einer Entscheidung des Bundesgerichtshof („BGH“) vom 12. Dezember 2017 (veröffentlicht am 19. Januar 2018) wurden nun die Zulässigkeitsvoraussetzungen von sogenannten Drittplattformverboten sowie von Suchmaschinenverboten präzisiert. Einige Fragen bleiben trotz der klarstellenden Urteile noch offen.

 Was bisher geschah…

Sogenannte (Dritt-)Plattformverbote werden den Händlern gewöhnlich in Zusammenhang mit selektiven Vertriebssystemen auferlegt. Es wird den Händlern untersagt, auf Drittplattformen wie etwa Amazon die Produkte des jeweiligen Herstellers zu verkaufen.

Schon lange (EuGH, Urteil v. 25.10.1977 – Metro I) ist anerkannt, dass die Einrichtung und der Betrieb eines selektiven Vertriebssystems kartellrechtlich zulässig sind, wenn die Auswahl der Händler aufgrund objektiver Kriterien qualitativer Art erfolgt, die einheitlich festgelegt und diskriminierungsfrei angewendet werden. Die Kriterien müssen zur Wahrung der Qualität der jeweiligen Produkte sowie zur Gewährleistung des fachgerechten Gebrauchs die Einrichtung eines solchen Vertriebssystems erfordern, und die festgelegten Kriterien dürfen nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

Nicht höchstrichterlich geklärt war bislang allerdings die Frage, ob ein Hersteller im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems seinen Händlern untersagen kann, seine Waren auf Drittplattformen zu vertreiben. Gerade in der deutschen Entscheidungspraxis ist dies bisher nicht einheitlich beurteilt worden, wobei den Entscheidungen häufig jeweils besondere Sachverhaltsumstände zugrunde lagen.

Die „Coty“-Entscheidung des EuGH

In dem „Coty“-Verfahren vor dem EuGH ging es im Kern um die Frage des Verbots von Drittplattformen, konkret betreffend Amazon. Der Luxusparfum-Hersteller Coty und seine deutsche Vertriebstochter (Parfums unter anderem der Marken Bottega Veneta, Guess, Jil Sander, Lancaster, MiuMiu) hatten zur Wahrung des Luxusimages ihrer Produkte ein selektives Vertriebssystem in Betrieb genommen, in dem unter anderem der Vertrieb ihrer Luxuskosmetika auf Drittplattformen verboten wurde. Coty Germany ging auf dieser Grundlage gegen einen seiner Vertragshändler vor, der die Luxusdüfte entgegen der Anforderungen des selektiven Vertriebs über „amazon marketplace“ (Amazon.de) verkaufte. Coty selbst beliefert Amazon nach eigenen Angaben nicht.

Der schließlich angerufene EuGH bestätigt in seinem Urteil zum einen seine bisherige Rechtsprechungspraxis zur Beurteilung von selektiven Vertriebssystemen. Zudem führen die Richter aus, dass Drittplattformverbote in selektiven Vertriebssystemen grundsätzlich mit dem Kartellrecht vereinbar sind. Derartige Verbote sollen zum Schutz der Marke und des Markenimages zulässig sein.

Denn selektive Vertriebssystemklauseln, die generell die Einschaltung einer nach außen erkennbaren (Dritt-)Onlineplattform verbieten, sollen nach Auffassung des EuGH schon dann keinen Verstoß gegen das Kartellverbot aus Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen, „wenn die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewandt werden, und die festgelegten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.“

Als Begründung führt der EuGH drei Argumente an: (1) Durch das Verbot offener Drittplattformen könne gewährleistet werden, dass die entsprechenden Produkte im elektronischen Handel ausschließlich von zugelassenen Händlern angeboten werden. Dies trage zur Wahrung der Qualität dieser Waren bei. (2) Außerdem erlaube das Drittplattformverbot einem Hersteller von Luxusprodukten zu überprüfen, ob seine Waren im Internet tatsächlich in einer Umgebung angeboten werden, die dem Warenimage gerecht wird und den daraus resultierenden Anforderungen entspricht. Gerade dies sei bei einem Vertrieb über Drittplattformen nicht möglich. Denn es bestehe keine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen dem Hersteller und dem Drittplattformbetreiber, über die der Hersteller die Einhaltung der qualitativen Anforderungen des selektiven Vertriebssystems verlangen und durchsetzen könne. (3) Schließlich trage das Drittplattformverbot und damit der Umstand, dass das jeweilige Produkt nur über bestimmte Verkaufskanäle im Internet bzw. nur über die Shops zugelassener Händler zu kaufen sei, zum Luxusimage der Produkte bei.

Der EuGH sieht in der streitgegenständlichen Verbotsklausel keine überschießende Regelung, weil es den zugelassenen Händlern immer noch möglich sei, die Produkte über eigene Webshops zu vertreiben. Auch der Endkunde werde nicht in seinen Bezugsmöglichkeiten beschränkt, weil er neben den eigenen Webshops autorisierter Händler ggf. auch die Onlinepräsenz des Herstellers zum Einkauf nutzen könne.

Plattformverbot keine Kernbeschränkung und freistellungsfähig

Weiter äußert sich der EuGH in der „Coty“-Entscheidung dahingehend, dass auch Plattformverbote außerhalb von selektiven Vertriebssystemen (oder im Fall, dass das selektive Vertriebssystem den oben genannten Anforderungen nicht entspricht) keine Kernbeschränkung darstellten und somit eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen (Vertikal-GVO) grundsätzlich möglich sei.

BGH: „ASICS“-Händler dürfen mit Preissuchmaschinen kooperieren

In einer ähnlichen Entscheidung greift der Bundesgerichtshof (Beschluss v. 12.12.2017, KVZ 41/17 – ASICS) die Grundsätze der „Coty-Entscheidung“ auf und stellt dazu abgrenzend klar, dass das pauschale Verbot von Preissuchmaschinen für Händler kartellrechtlich eine Kernbeschränkung und damit einen offensichtlichen Kartellverstoß darstelle (entgegen der vom EuGH anerkannten Zulässigkeit von Drittplattformverboten).

In seiner Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, dass Preissuchmaschinen im Hinblick auf das große Produktangebot im Internet und die Vielzahl der Anbieter eine erhebliche Bedeutung für den Verbraucher zukomme. Hindere ein Markenhersteller (im streitigen Fall der Sportschuhhersteller ASICS) seine Händler pauschal daran, mit Preissuchmaschinen zu kooperieren, sei das eine nach EU-Kartellrecht unzulässige „Kernbeschränkung“ des Internetvertriebs. Im dem entscheidenden Fall lag zudem eine Kombination mit zwei weiteren Verboten vor: Zum einen war es den Händlern verboten,  Vertragswaren über den Internetauftritt eines sichtbaren Dritten zu bewerben oder zu verkaufen, sowie zum anderen einem Dritten zu erlauben, auf der Internetseite des Dritten Markenzeichen des Herstellers zu verwenden, um Kunden auf die Internetseite des autorisierten Händlers zu leiten. Dem Bundesgerichtshof zufolge sei es gerade bei einer solchen Kombination von Verboten nicht gewährleistet, dass die interessierten Kunden ohne praktisch erheblichen Aufwand Zugang zum Internetangebot der Vertragshändler hätten.

Folgerungen für die Praxis

Das Urteil des EuGH enthält dankenswerte Klarstellungen. Aufgrund der Betonung des Luxusimages der verfahrensgegenständlichen Waren drängt sich jedoch die Frage auf, ob sich die vom EuGH aufgestellten Grundsätze auf „herkömmliche Marken“ und andere Qualitätswaren übertragen lassen. Bundeskartellamtspräsident Mundt äußerte sich unmittelbar nach der Veröffentlichung der EuGH-Entscheidung auf Twitter diesbezüglich dahingehend, dass die bisherige eher restriktive Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts durch die „Coty-Entscheidung“ keine Änderung erfahren würde; Hersteller außerhalb der Luxusgüter-Sektors würden dadurch keinen Freifahrtschein für die Anwendung von Drittplattformverbote erhalten.

Daher stellen sich die Fragen, wo Luxus anfängt und wer die Entscheidung darüber trifft, ob ein Luxusprodukt betroffen ist oder nicht: Der Hersteller selbst, das entscheidende Gericht, oder etwa eine bestimmte Kundengruppe (die in ihrer Wahrnehmung von Luxus sehr unterschiedlich sein kann)? Auch bleibt fraglich, wann der Luxuscharakter eines bestimmten Produkts durch den Vertrieb über bestimmte Internetkanäle oder -plattformen infolge einer damit verbundenen Preisveränderung gefährdet ist. Dies kann vermutlich nur durch einen Markttest dargelegt werden.

Nach unserer Einschätzung gibt es überzeugende Gründe, die Entscheidungen des EuGH nicht nur auf Luxusprodukte zu beschränken. Jedenfalls die Ansätze der Argumentation lassen sich nach unserer Sicht auf andere „Qualitätswaren“ übertragen. Insgesamt stärken die beiden Entscheidungen die Möglichkeiten von Herstellern, den Vertrieb ihrer Produkte entsprechend der Produktanforderungen zu kontrollieren.

Sollten Sie Fragen dem Thema „Internetvertrieb“ haben, sprechen Sie uns gerne an.