Flächenabweichungen als Mangel im Lichte verschiedener Vertragstypen

Der für Geschäftsraummietrecht zuständige XII. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat durch ein nun veröffentlichtes Urteil (25.11.2020, XII ZR 40/19) seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass im Rahmen eines Geschäftsraummietvertrags eine für den Mieter ungünstige Flächenabweichung zwischen der vertraglich vereinbarten und der tatsächlichen Mietfläche zu einem Mangel gemäß § 536 BGB führen kann. Dies setzt allerdings eine erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung voraus. Eine solche erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung nimmt der BGH auch in der neuen Entscheidung an, wenn die tatsächliche Fläche um mehr als 10 % unter der im Mietvertrag vereinbarten Fläche zurückbleibt.

Mietverträge

Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Flächenabweichungen ist es zunächst erforderlich, den Sachverhalt im Detail aufzuklären: Ist überhaupt eine konkrete Fläche vereinbart? Nur dann besteht eine Grundlage für einen Mangeleinwand. Viele Vermieter versuchen, eine verbindliche Vereinbarung damit zu umgehen, bei Flächenangaben im Mietvertrag diese mit einer „ca.“-Angabe zu relativieren. Dem hat der BGH eine klare Absage erteilt. Es gibt keine Toleranzwerte für solche ca.‑Angaben, so dass auch solche Flächenangaben im Vertrag verbindlich sind.

Auf welcher Grundlage ist das tatsächliche Flächenmaß zu ermitteln? Es kommen verschiedene Berechnungswege in Frage (DIN 277; GIF‑Richtlinien). Dies deshalb, weil die Grundsätze der Wohnflächenverordnung für die Berechnung von Gewerbeflächen nicht anwendbar sind. Gesetzliche Vorgaben zur Flächenberechnung für Gewerbeobjekte gibt es keine, da auch die GIF‑Richtlinien (MF/G für gewerblichen Raum) keine Rechtsverordnungen sind; vielmehr ist die „Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif)“ ein Zusammenschluss von Experten in Form eines privatrechtlichen Vereins. Es sollte daher die Berechnungsweise im Mietvertrag festgelegt werden.

Das Konfliktpotenzial bei Flächendifferenzen ist erheblich, weil die damit verbundenen mieterseitigen Ansprüche umfangreich sein können: Ist ein Mangel anzunehmen, führt dies zum Minderungsrecht bei künftig zu zahlenden Mieten und zu Rückzahlungsansprüchen für die Vergangenheit bei überzahlten Mieten. Dabei entspricht die Minderungs- bzw. Rückzahlungsquote dem Prozentsatz der Flächenabweichung. Ist also beispielsweise die tatsächliche Fläche um 15 % kleiner als die vertraglich vereinbarte Fläche, kann die Miete um diese 15 % reduziert werden, und zwar bezogen auf die Brutto-Miete einschließlich Nebenkostenvorauszahlung im Zuge der Flächendifferenz. Zudem kann der Mieter das Mietverhältnis außerordentlich fristlos kündigen und im Zuge der Kündigung dann sämtliche Schäden erstattet verlangen, §§ 535, 280 BGB. Darunter fallen beispielsweise die Kosten für die Suche nach Ersatzflächen, Umzugskosten, Maklerprovisionen, Umbaukosten etc.

Für andere Rechtsgebiete zuständige Senate beim BGH haben die Rechtsprechung des XII. Senats zur Flächenabweichung als Mangel übernommen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Immobilienkaufverträgen und Bauträgerverträgen:

Immobilienkaufverträge

Bei Immobilienkaufverträgen gilt die Flächengröße ebenfalls als maßgeblich wertbildender Faktor und damit ebenfalls als Beschaffenheitsmerkmal. Eine Flächendifferenz zwischen vereinbarter und tatsächlicher Fläche von über 10 % zu Lasten der Käuferpartei gilt auch bei dieser Vertragsart als Sachmangel im Sinne von § 434 BGB (BGH, Urt. v. 06.11.2015, V ZR 78/14). Handelt es sich bei dem Kaufobjekt um eine Wohnimmobilie, ist die Berechnungsweise der Wohnfläche gesetzlich vorgegeben. Denn nicht nur für preisgebundenen Wohnraum ist die Berechnung der Wohnfläche nach der Wohnflächenverordnung vom 01.01.2004 maßgeblich, sondern auch für preisungebundenen Wohnraum, sofern die Vertragsparteien bei dem letztgenannten Wohnraum keinen konkreten anderweitigen Berechnungsmaßstab vereinbart haben (BGH, B. v. 19.01.2012, V ZR 141/11).

Im Zusammenhang mit Flächenabweichungen bei Immobilienkaufverträgen gibt es häufig Streit darüber, ob Angaben in einem Maklerexposé in Bezug auf die Wohnfläche rechtsverbindlich sind. Dies wird zwar vielfach vertreten. Allerdings greift für eine solche sogenannte Beschaffenheitserwartung in einem Maklerexposé (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB) der im Vertrag üblicherweise geregelte Gewährleistungsausschluss für Sachmangelhaftung ein, so dass dann keine Gewährleistungsansprüche im Zusammenhang mit Flächendifferenzen geltend gemacht werden können. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Flächenabweichung arglistig verschwiegen oder für eine vereinbarte Fläche eine Garantie von Verkäuferseite übernommen wird.

Ein vertraglich vereinbarter Gewährleistungsausschluss ist dagegen nicht einschlägig bei sogenannten Beschaffenheitsvereinbarungen. Werden Flächenangaben nicht nur im Maklerexposé, sondern auch im Kaufvertrag niedergelegt, gilt dies dann als eine solche Beschaffenheitsvereinbarung mit der Folge, dass Gewährleistungsausschlüsse ins Leere gehen und Ansprüche bei Flächendifferenz denkbar sind. Deshalb wird von Verkäuferseite bei Immobilienkaufverträgen vielfach versucht, Flächenangaben im Kaufvertrag oder in den dem Kaufvertrag beigefügten Anlagen auszusparen und solche Flächenangaben nur im Maklerexposé aufzuführen. Käuferseits sollte wegen der unterschiedlichen Anwendbarkeit des Gewährleistungsausschlusses bei Beschaffenheitserwartung und -vereinbarung Wert darauf gelegt werden, Flächenangaben im Kaufvertrag aufzuführen.

Bauträgerverträge

Ein Bauträgervertrag ist gemäß § 650u BGB ein Vertrag, der die Errichtung oder den Umbau eines Hauses oder eines vergleichbaren Bauwerks zum Gegenstand hat und der zugleich die Verpflichtung des Unternehmers enthält, dem Besteller das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen oder ein Erbbaurecht zu bestellen oder zu übertragen, so die zum 01.01.2018 neu eingeführte Definition des Gesetzgebers. Wird im Rahmen dieser Vertragsart die vereinbarte Fläche um mehr als 10 % unterschritten, wird ebenfalls ein Mangel angenommen (BGH, Urt. v. 08.01.2004, VII ZR 181/02), § 634 BGB. Der Verkäufer haftet dem Käufer dann auf Schadensersatz gemäß §§ 634 Nr. 4, 282 Abs. 1, 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB, der insbesondere eine Kaufpreisreduzierung umfasst, und zwar in Höhe der prozentualen Flächenabweichung (15 % Flächenabweichung = 15 % Abzug vom Kaufpreis).

Vielfach werden in Bauträgerverträgen sogenannte Geringfügigkeitsklauseln vereinbart, wonach beispielsweise eine Flächenunterschreitung bis 5 % unerheblich sein soll. Die Wirksamkeit einer solchen Klausel ist zweifelhaft, insbesondere wenn sie von der Verkäuferseite als Allgemeine Geschäftsbedingung vorgegeben wird. Unabhängig von der Frage der Wirksamkeit gilt: Wird die Geringfügigkeitsschwelle überschritten, haftet die Verkäuferseite unbeschränkt, ohne dass ein Geringfügigkeitsabschlag vorzunehmen wäre (BGH, Urt. v. 08.01.2004, VII ZR 181/02). Bei einer Geringfügigkeitsschwelle von 5 % und einer zum Nachteil des Käufers abweichenden Flächendifferenz von 15 % haftet die Verkäuferseite also gegenüber dem Käufer auf Schadensersatz in Höhe von 15 % des vereinbarten Kaufpreises und nicht etwa in Höhe der Differenz zwischen Flächenabweichung und Geringfügigkeitsschwelle.

Ausblick

In den letzten zehn Jahren hat sich die Rechtsprechung des BGH umfangreiche Kritik eingehandelt, weil die mangelrelevante Grenze von 10 % willkürlich erscheint und zu starr ist. Insofern wurde die Entscheidung des BGH von Ende letzten Jahres mit Spannung erwartet. Der BGH hat die Grenze von 10 % zwar bestätigt, aber eine Öffnung ermöglicht, um auch Flächenabweichungen bei unter 10 % als Mangel begründen zu können. Erforderlich ist eine erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung. Die Erheblichkeit unterstellt der BGH ab einer Flächendifferenz von 10 %. Eine darunterliegende Flächenabweichung kann allerdings ebenfalls erheblich sein, wenn dies von Seiten des Anspruchstellers ausreichend und substantiiert begründet wird. Wenn also beispielsweise ein dem Vertrag zugrunde gelegter Nutzungszweck eingeschränkt wird, weil die Fläche zu klein ist, sollte zumindest ein möglicher Mangeleinwand weiter geprüft werden.

Insgesamt zeigt sich, dass die denkbaren Gewährleistungsansprüche im Zusammenhang mit Flächenabweichungen komplex sind und vielfach der Teufel im Detail steckt. Es dürfte sich in jedem Fall lohnen, zum konkreten Sachverhalt anwaltlichen Rat einzuholen. Dazu stehen die Immobilienrechtler bei SPIEKER & JAEGER jederzeit sehr gerne zur Verfügung.

  • Jens Ewelt

    • Rechtsanwalt
    • Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
    • Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht