Eisläufer und Superligen

Die Welt des europäischen Fußballs wurde durch die Ankündigung von zunächst 12 Vereinen in Aufruhr versetzt, eine neue European Super League schaffen zu wollen. Anders als die Champions League sollte diese Super League für den Großteil der Vereine mit einer festen Mitgliedschaft versehen und nur 5 der 20 Plätze für andere Teams durch Qualifikationen erreichbar sein. Die UEFA reagierte einigermaßen empört und drohte, alle ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen auf allen Ebenen, sowohl sportlich als auch juristisch, in Betracht zu ziehen, um dies zu verhindern. Diese Gründung der Super League weist so viele Gemeinsamkeiten eines jüngeren, die Europäische Kommission und das EuG beschäftigenden Falles auf, dass ein Vergleich zahlreiche kartellrechtliche Probleme aufzeigt.

Kartellrecht und Sport

Bei nur oberflächlicher Betrachtung scheint es einigermaßen fernliegend, kartellrechtliche Regelungen auf Sportvereine übertragen zu wollen. Sportvereine verfolgen – jedenfalls im Grundsatz – ganz andere Ziele als das Kartellrecht. So ist etwa, ganz anders als im sonstigen Kartellrecht, die Abstimmung von Verhaltensweisen keineswegs unfair, sondern eher geboten. So ist beispielsweise eine sorgfältige Koordination zwischen den Wettbewerben erforderlich, um sicherzustellen, dass Spieler ihren Verpflichtungen sowohl gegenüber kommerziellen, als auch Nationalmannschaften nachkommen können. Auch scheint es schwierig, Fußballmannschaften als Wettbewerber im herkömmlichen Sinne zu bezeichnen. Ein Fan des FC Bayern München dürfte den FC Schalke 04 – jedenfalls mit Blick auf die abgelaufene Saison – wohl eher nicht als Konkurrenten betrachten, zu dem er eines Tages sein Geschäft verlagern könnte.

Sportverbände, wie die UEFA, müssen das Spiel regulieren und sich um das wichtige Geschäft des Verkaufs von Fernsehrechten und die Verteilung der Erlöse unter den Fußballvereinen kümmern. Als Sportverband nimmt die UEFA ein legitimes Ziel, namentlich die Gesundheit, Sicherheit und das ordnungsgemäße Funktionieren des Fußballspieles wahr: Würden nämlich die Fernsehrechte auf Vereinsebene vergeben, würde dies zu einem hoch chaotischen und wohl wenig effizienten System der Vergabe und ständigen Verhandlungen führen und wohl auch dazu, dass die Rechte für ein Spiel entweder mehrmals oder auch gar nicht verkauft werden würden. Kleinere Vereine würden in jedem Fall benachteiligt.

Diesen Ansatz verfolgt etwa auch die oberste europäische Kartellbehörde, die Europäische Kommission, wenn sie ausführt, dass restriktive Sportregeln mit dem europäischen Recht vereinbar sind, wenn sie einen legitimen Zweck verfolgen und wenn die Einschränkungen, die sie schaffen, zur Erreichung dieses Ziel inhärent und verhältnismäßig sind. Die Europäische Kommission zögert, sich in Sportangelegenheiten einzumischen, es sei denn, das betreffende Verhalten geht eindeutig über ein legitimes Ziel hinaus.

Eislaufen

Die vorbenannten Grenzen – namentlich die Verfolgung eines legitimen Ziels – werden jedoch manchmal überschritten. Exemplarisch ist dafür ein Fall, der im Eislaufsport spielt: Bei der Internationalen Eislaufunion (ISU) handelt es sich um einen internationalen Sportverband, der die Sportarten Eiskunstlauf und Eisschnelllauf weltweit regelt. Die ISU setzt sich aus einzelstaatlichen Verbänden zusammen, die diese Sportarten auf nationaler Ebene regeln. Die Zulassungsbestimmungen der ISU sind Bestandteil der Satzung und der Allgemeinen Vorschriften, die auf einem ISU-Kongress verabschiedet wurden. Sie sind für alle Mitglieder der ISU, die ihnen angeschlossenen Vereine und die individuellen Mitglieder verbindlich. Nach den Zulassungsbestimmungen der ISU wurde ein Eisschnellläufer auf Lebenszeit von der Teilnahme an internationalen Eisschnelllaufwettkämpfen der ISU, darunter etwa Europa- und Weltmeisterschaften sowie die Olympischen Winterspiele, ausgeschlossen, wenn er oder sie an einem nicht von der ISU oder einem ihrer Mitglieder genehmigten Eisschnelllaufwettkampf teilgenommen hatte. Gegen Eisschnellläufer wurden für die Teilnahme an nicht genehmigten Wettkämpfen Strafmaßnahmen verhängt, die von einer Verwarnung bis zu Sperrzeiten von unbestimmter Mindestdauer bis hin zu lebenslanger Sperre reichen konnten.

Ähnlich wie bei der Super League und der UEFA wurde auch im Eisschnelllauf von potentiellen Wettbewerbern der Versuch unternommen, andere Wettbewerbe zu veranstalten. Exemplarisch ist ein gescheiterter Markteintrittsversuch von Ice Derby. Dieses Unternehmen beabsichtigte, eine Veranstaltungsreihe namens Ice Derby Grand Prix für 6 aufeinanderfolgende Jahre durchzuführen. Ice Derby setzte sich mit der ISU in Verbindung, um eine Partnerschaftsvereinbarung zu schließen und seinen Aktionsplan vorzustellen. Ursprünglich beabsichtigte Ice Derby, Wettgeschäfte im Rahmen des geplanten Grand Prix zuzulassen, sofern solche Geschäfte im jeweiligen Veranstaltungsland legal waren. Die ISU verwies indes auf ihren Ethik‑Kodex, der jegliche Teilnahme an Wettgeschäften verbot. Zwei Jahre später teilte Ice Derby der ISU mit, dass im Rahmen des konkret geplanten Dubai Ice Derby Grand Prix keine Wettgeschäfte organisiert würden, weil Wettgeschäfte in Dubai illegal seien. Dennoch genehmigte die ISU den Dubai Ice Derby Grand Prix nicht und teilte ihren Mitgliedern und allen Eisschnellläufern mit, sie würden mit der in den Zulassungsbestimmungen vorgesehenen lebenslangen Sperre belegt, sollten sie an diesem Wettkampf teilnehmen.

Ein Eisschnellläufer hatte ursprünglich beabsichtigt, am Dubai Ice Derby Grand Prix teilzunehmen. Da er jedoch keine lebenslange Sperre nach den Zulassungsbestimmungen riskieren wollte, verzichtet er schließlich auf die Teilnahme. Letztlich entschied sich Ice Derby gegen die Veranstaltung des Dubai Ice Derby Grand Prix, weil es sich als zu schwierig erwies, Eisschnellläufer zur Teilnahme zu bewegen.

Nach Auffassung der sonst zurückhaltenden Europäischen Kommission handelte es sich bei den Zulassungsbestimmungen der ISU um einen Kartellrechtsverstoß. In ihrem Beschluss betonte die Europäische Kommission, dass die ISU eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe, weil sie geschäftlich mit der Veranstaltung und Vermarktung internationaler Eisschnelllaufwettkämpfe befasst sei und die Zulassungsbestimmungen der ISU mit Blick auf ihren Inhalt, ihre Ziele und dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecke.

Nach den Zulassungsbestimmungen würden Sportler von der Teilnahme an den ISU‑Wettkämpfen ausgeschlossen, wenn sie an einer nicht von der ISU genehmigten Veranstaltung teilnehmen. Insbesondere könnten Sportler, die aufgrund ihrer Teilnahme an einem nicht genehmigten Wettkampf gesperrt würden, nicht mehr beantragen, wieder zur Teilnahme an ISU‑Veranstaltungen zugelassen zu werden. Somit führe ein Verstoß gegen die Zulassungsbestimmungen zu einer lebenslangen Sperre. Die Strafmaßnahmen, so die Europäische Kommission, gelten unabhängig davon, ob die Teilnahme an der nicht genehmigten Veranstaltung eine Gefahr für Gesundheit und Sicherheit der Sportler oder der Integrität des Eisschnelllaufes darstellte. Der Satzung der ISU sei zu entnehmen, dass die Zulassungsbestimmungen allein dazu dienten, die wirtschaftlichen und sonstigen Interessen der ISU zu schützen. Die Zulassungsbestimmungen beschränkten daher die Möglichkeit der professionellen Eisschnellläufer, sich frei für die Teilnahme an von Dritten veranstalteten internationalen Eisschnelllaufwettkämpfen zu entscheiden. Sie schlossen daher (potentielle) konkurrierende Wettkampfveranstalter von der Inanspruchnahme der für solche Wettkämpfe unabdingbaren Dienstleistungen der Sportler aus. Im Ergebnis dienten die Zulassungsbestimmungen daher dazu, die Marktmacht der ISU und ihrer Mitglieder zu erhalten.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung war kein Drittanbieter im Bereich der Veranstaltung und Vermarktung internationaler Eisschnelllaufwettkämpfe tätig. Ice Derby hätte erfolgreich in den Markt eintreten können, wäre es Ice Derby nicht aufgrund der abschreckenden Wirkung der Zulassungsbestimmungen der ISU unmöglich gewesen, Sportler für die Wettkämpfe zu gewinnen. Die von Ice Derby geplanten Wettkämpfe, so die Europäische Kommission, hätten außerhalb der Saison, in der die ISU die eigenen Wettkämpfe veranstaltete, stattgefunden. Somit hätten Verbraucher weitere Veranstaltungen verfolgen und Sportler weitere Einnahmen erzielen können.

Vor diesem Hintergrund beeinträchtigten die Zulassungsbestimmungen den Wettbewerb in verschiedener Hinsicht, insbesondere in Bezug auf die Angebotsvielfalt und die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher und Innovationen. Die Angebotsvielfalt werde beschränkt, indem potentielle neue Marktteilnehmer am Zugang zu den Dienstleistungen der Sportler und damit an der Veranstaltung zusätzlicher Eisschnelllaufwettkämpfe ohne Genehmigung der ISU gehindert würden. Die Zulassungsbestimmungen beeinträchtigten die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher und Innovationen, weil potentielle Wettbewerber Wettkämpfe in anderer, innovativer Form anbieten könnten.

Es liegt nahe, dass jene von der UEFA angedrohten „Vergeltungsmaßnahmen“ an der vorbeschriebenen, gerichtlich bestätigten, Entscheidung der Europäischen Kommission gemessen werden und als Kartellrechtsverstoß beurteilt werden würden. Dergestalt könnte die Super League etwa argumentieren, dass die „Vergeltungsmaßnahmen“ eine konkurrierende Veranstaltung unangemessen behinderten. Ebenso wie Ice Derby könnte die Super League auch auf die Vorteile einer konkurrierenden Veranstaltung zur UEFA Champions League verweisen, so etwa in Hinsicht auf die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher und den Wettbewerb hinsichtlich der Fernsehrechte. Es scheint gewiss nicht ausgeschlossen, dass beide Ligen parallel zueinander arbeiteten.

Andererseits könnte die UEFA darauf verweisen, dass die Super League die Champions League im Wesentlichen unterlaufen würde und dergestalt die Schlüsselrolle der UEFA als internationaler Fußballverband hinfällig würde. In dieser Hinsicht dürfte auch von Bedeutung sein, inwieweit etwaige „Vergeltungsmaßnahmen“ der UEFA verhältnismäßig sind: Wie aus dem Beispiel der ISU ersichtlich, sind lebenslange Verbote gewiss nicht verhältnismäßig. Dort wurde es Eisläufern unmöglich, ihren Lebensunterhalt weiter zu bestreiten, weil sie etwa an der Teilnahme an den lukrativen Olympischen Winterspielen gehindert wurden. Ähnliches dürfte auch für Fußballer gelten.

Gründung der Super League als eigener Kartellverstoß

Eine weitere kartellrechtlich geprägte Perspektive kann angenommen werden: Wie gezeigt ist das Kartellrecht auf Sportverbände anwendbar. Wettbewerbsbeschränkende Praktiken müssen dabei verhältnismäßig sein und insbesondere dazu dienen, ein legitimes Ziel zu erreichen. Gerade die aufgezeigte Erreichung eines legitimen Ziels ist aber bei der Schaffung der Super League außerordentlich fraglich. Die Gestaltung der Super League und ihre Teilnehmer legen nahe, dass vorliegend nicht vernünftige legitime wettbewerbskonforme Ziele erreicht werden sollen. Die eigentliche Rechtfertigung der Verbände liegt u.a. darin, dass es im Kern jedem Verein möglich sein soll, in den Ligen aufzusteigen und an der Spitze des Fußballs erfolgreich zu sein. In der Super League sollte diese Möglichkeit indes nur 5 der 20 Mannschaften offenstehen. Die zu erwartende erhebliche Steigerung der Einnahmen aus TV‑Rechten für die stets teilnehmenden Vereine legt nahe, dass diese Vereine im Wesentlichen versuchten, ihre Einnahmen durch die Ausübung kollektiver Marktmacht zu steigern und zu schützen, die sie als Folge ihres Erfolgs in jedem sportlichen Wettbewerb erworben haben, den sie nun anderen Vereinen verwehren wollen.

Bekanntlich hat sich das Projekt der Super League zwischenzeitlich zerschlagen. Aufgrund der Proteste kündigten die 6 englischen Vereine keine 48 Stunden nach Verkündung der Liga ihren Ausstieg an, gefolgt vom Ausstieg der 3 italienischen Vereine sowie von Atlético Madrid. Allerdings scheinen insbesondere Real Madrid und der FC Barcelona den Plan für eine Super League weiterverfolgen zu wollen. Dass der UEFA hinsichtlich „Vergeltungsmaßnahmen“ dabei Grenzen gesetzt sind, ist klar – klar ist aber auch, dass der bisher verfolgte Plan einer Super League in dieser Form kartellrechtlich nicht zulässig wäre.

  • Prof. Dr. Thomas Thiede, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Deutsches und europäisches Kartellrecht / Fusionskontrolle
    • Honorarprofessor der Karl-Franzens-Universität Graz