Das Ende des Doppelpreisverbotes im Vertriebskartellrecht

Herstellern ist es bisher untersagt mit Blick auf den Vertriebsweg ihrer jeweiligen Abnehmer unterschiedliche Preise zu verlangen. Onlineverkäufe und Verkäufe in Ladengeschäften sind gleich zu behandeln. Man spricht vom Doppelpreisverbot. Dieses Grundprinzip des Vertriebskartellrechts könnte nun in naher Zukunft aufgegeben werden.

Kartellrechtsverstoß und Freistellung

Im vertikalen Vertriebsweg zwischen Hersteller und Händler stellen ganz verschiedene Vorgaben der Hersteller im Grundsatz zwar einen Kartellrechtsverstoß nach Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB dar. Allerdings werden zahlreiche dieser Verstöße – etwas vereinfacht – aber gleichsam im selben Atemzug wieder freigestellt. Dem europäischen Verordnungsgeber wurde dabei eingeräumt, eine Gruppe von Freistellungen in Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) zusammenzufassen.

Für das Verhältnis zwischen Hersteller und Händler ist die wichtigste dieser Verordnungen die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO), die nach § 2 GWB auch für das deutsche Recht Anwendung findet. In der Folge sind Verhaltensweisen der Hersteller gruppenfreigestellt, wenn die Voraussetzungen der Vertikal-GVO erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehört zunächst, dass eine bestimmte Marktanteilsschwelle des Herstellers wie auch des Händlers unterschritten wird. Zudem dürfen die Vereinbarungen zwischen den Herstellern und Händlern recht spezifische Klauseln nicht vorsehen (Kernbeschränkungen). Diese Kernbeschränkungen betreffen – wiederum etwas vereinfacht – Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen eine Beschränkung des Verkaufs durch einen Abnehmer oder seine Kunden bezwecken. Bisher galt in diesem Zusammenhang, dass eine solche Kernbeschränkung immer dann zu bejahen war, wenn etwa der Hersteller für den Vertrieb im Onlinebereich andere und in aller Regel höhere Preise vorsah als bei einem Vertrieb etwa in Ladengeschäften (Doppelpreisverbot).

Die vorbenannten Regelungen der Vertikal-GVO werden in regelmäßigen Abständen überarbeitet. Die derzeit geltenden Regeln zur Gruppenfreistellung von Vertikalvereinbarungen – aus der auch die vorstehende Regel zum Doppelpreisverbot entnommen ist – laufen zum 31.05.2022 aus. Die Europäische Kommission hat kürzlich eine neue Vertikal-GVO vorgestellt.

Ende des Doppelpreisverbotes

Nach diesen neuen Regeln soll es in Zukunft möglich sein, dass Abnehmer für Produkte, die online weiterverkauft werden sollen, andere Preise zahlen als für Produkte, die offiine weiterverkauft werden sollen. Diese nunmehr zulässigen Doppelpreis- systeme fallen in den Schutzbereich der Vertikal-GVO, wenn sie darauf abzielen, Anreize für angemessene Investitionen im Online- bzw. Offiinebereich zu schaffen oder diese zu belohnen. Die Preisunterschiede sollten dabei mit den unterschiedlichen Kosten zusammenhängen, die dem Händler auf der Einzelhandelsstufe in den jeweiligen Vertriebskanälen entstehen. Zu diesem Zweck sollen beim Preisunterschied insbesondere unterschiedliche Investitionen und Kosten, die Händlern entstehen, berücksichtigt und für diese Händler Anreize geschaffen werden für die angemessene Höhe der online bzw. offiine getätigten Investitionen belohnt zu werden, weil es, sofern der Preisunterschied in keiner Beziehung zu den unterschiedlichen Kosten steht, die in den jeweiligen Kanälen anfallen, unwahrscheinlich ist, dass ein solcher Preisunterschied effizienzsteigernde Auswirkungen habe. Wenn jedoch, so die Europäische Kommission, durch den Preisunterschied die tatsächliche Nutzung des Internets für den Onlineverkauf verhindert werden soll, handelt es sich weiter um eine Kernbeschränkung. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn der Preisunterschied die tatsächliche Nutzung des Internets für den Onlineverkauf unrentabel oder finanziell nicht tragbar macht.

Hersteller werden in Zukunft also unterschiedliche Großhandelspreise für Online- und Offiineverkäufe festsetzen können, sofern sie darauf abzielen, Anreize für angemessene Investitionen im Online- bzw. Offlinebereich zu schaffen und diese zu belohnen. Der Preisunterschied darf die Nutzung des Internets für den Onlineverkauf aber nicht unrentabel oder finanziell nicht tragbar machen.

Zukunft des Plattformverbotes

Recht klar positioniert sich die Europäische Kommission auch bei der Frage der Plattformverbote. Mit solchen Plattformverboten verbieten Hersteller ihren Händlern in der Regel einen Verkauf über Plattformen, wie etwa Amazon, oder erlauben den Vertrieb über Plattformen nur unter bestimmten Bedingungen.

Anders als nach der bisherigen Entscheidungspraxis sollen in Zukunft sowohl pauschale als auch bedingte Plattformverbote möglich sein und dies vollkommen unabhängig vom betroffenen Produkt oder Vertriebssystem. Nach der neuen Ansicht der Europäischen Kommission handelt es sich bei einem solchen Plattformverbot nicht um eine unzulässige Beschränkung der Nutzung des Internets als Vertriebskanal, sondern um eine Ausgestaltung der Modalitäten des Onlinevertriebs. Völlig zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass dem Händler die Möglichkeit verbleibt, etwa über seine eigene Internetpräsenz die Produkte des Herstellers zu vertreiben.

Resümee

Wie die vorbeschriebenen Beispiele zeigen, ist die Europäische Kommission im Rahmen der Neufassung der Vertikal-GVO redlich bemüht, praktisch höchst relevante Änderungen anzustoßen und Defizite der bisherigen Entscheidungspraxis und Vorschriften abzustellen.

Ein letzter Unsicherheitsfaktor liegt in dem Verhalten der nationalen Kartellbehörden. Zwar besteht zwischen der Vertikal-GVO und dem deutschen Recht eine dynamische Verweisungstechnik. Allerdings bleibt ungewiss, wie die deutsche Kartellbehörde, das Bundeskartellamt, die neuen Vorgaben aus Brüssel auslegen und anwenden wird.

  • Prof. Dr. Thomas Thiede, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Deutsches und europäisches Kartellrecht / Fusionskontrolle
    • Honorarprofessor der Karl-Franzens-Universität Graz