Die „lenkende“ Ausschlagung als Gestaltungsmittel – am Ende gerade noch gut gegangen!

Grundzüge des Erbrechts und der Ausschlagung

Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist vom Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge und des Vonselbsterwerbs geprägt. Das bedeutet, dass der Anfall einer Erbschaft nicht von einer Erklärung des Erben oder gar einer gerichtlichen Entscheidung abhängt, sondern sich automatisch in der juristischen Sekunde nach Eintritt des Erbfalls einstellt. Theoretisch steht damit sofort nach Eintritt des Erbfalls fest, wer (testamentarischer oder gesetzlicher) Erbe eines Verstorbenen ist. Dass die tatsächliche Feststellung der Erben in der Praxis häufig mit Problemen und Streitigkeiten verbunden ist, steht dann auf einem ganz anderen Blatt.

Auf Antrag muss nach dem Erbfall das Amtsgericht am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zunächst alle bekannten Verfügungen von Todes wegen des Erblassers eröffnen. Privatschriftliche Testamente müssen dazu gemäß § 2259 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeliefert werden (Pflicht und bei Nichtbefolgen als Urkundenunterdrückung strafbar!). Notarielle und hinterlegte Testamente sowie anderweitige erbrechtlich relevante notarielle Urkunden wie z.B. Erb- oder Eheverträge sind im Zentralen Testamentsregister der Bundesnotarkammer registriert und werden dem zuständigen Amtsgericht automatisch gemeldet. Weitere Feststellungen – etwa zur Wirksamkeit oder zum Inhalt der Testamente – trifft das Amtsgericht aber nicht. Das weitere Vorgehen liegt allein in der Hand der Erbanwärter.

Um nämlich den Vonselbsterwerb einer Erbschaft rückwirkend zu beseitigen, eröffnet das BGB mit den §§ 1942 ff. die Möglichkeit, eine Erbschaft auszuschlagen. Möchte jemand nicht Erbe werden, kann er eine ihm angefallene Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlagen. Die Ausschlagung muss durch Erklärung erfolgen, die gemäß § 1945 Abs. 1 BGB durch Erklärung zur Niederschrift des Amtsgerichts – Nachlassgericht – oder in öffentlich-beglaubigter Form, also in der Regel vor einem Notar, erfolgen kann.

Die Ausschlagung kann allerdings nur innerhalb einer 6-wöchigen Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 1 BGB wirksam erklärt werden. Fristbeginn dabei ist der Zeitpunkt, an dem der Ausschlagungswillige Kenntnis davon hat, dass er als Erbe in Betracht kommt.

Bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen

Bei Vorhandensein eines Testaments oder einer anderen Verfügung von Todes wegen ist das der Zeitpunkt, in dem der Erbe vom Todesfall und vom Inhalt einer für die Erbfolge maßgeblichen Verfügung von Todes wegen Kenntnis erhält, was regelmäßig spätestens durch die Übersendung des Eröffnungsprotokolls mitsamt Abschrift des entsprechenden Testaments bzw. der letztwilligen Verfügung durch das Amtsgericht der Fall sein wird.

Im Einzelfall kann die Kenntnis aber auch bereits bei Auffinden eines privatschriftlichen Testaments gegeben sein, etwa wenn der Erbe mit Sicherheit weiß, dass kein anderes oder anderslautendes Testament bzw. letztwillige Verfügung errichtet wurde.

Bei gesetzlicher Erbfolge

Bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge ist wiederum entscheidend, wann der potentielle Erbe Kenntnis vom Todesfall und darüber hinaus auch sichere Kenntnis davon hat, dass der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat.

Um auf „Nummer Sicher“ zu gehen sollte eine beabsichtigte Ausschlagung aber möglichst innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Erbfalls erklärt werden!

„Lenkende Ausschlagung“

In manchen Fällen wird die eingetretene Erbfolge von dem berufenen Erben als unpassend empfunden. Teilweise weil der Erblasser zu Lebzeiten mündlich anderes geäußert hatte, teilweise aber auch deshalb, weil die Erben bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge fälschlicherweise vom Eintritt einer anderen Erbfolge ausgegangen sind.

Häufigstes Beispiel hierfür ist der Fall, dass ein Elternteil verstirbt und nach gesetzlicher Erbfolge von seinem Ehepartner und seinen Kindern beerbt wird. Teilweise äußern die Beteiligten in diesen Fällen die Frage, ob nicht eine Möglichkeit bestehe, dass der überlebende Ehegatte Alleinerbe wird. In diesen Fällen kommt eine sog. „lenkende“ Ausschlagung in Betracht: Die zu Erben berufenen Abkömmlinge schlagen die ihnen angefallene Erbschaft aus, mit der Folge, dass der überlebende Elternteil Alleinerbe wird.

Hierbei besteht allerdings eine erhebliche Gefahr, die in den letzten Jahren zu einigen Gerichtsentscheidungen geführt hat: Der überlebende Ehepartner wird gemäß § 1932 Abs. 2 BGB nämlich nur dann Alleinerbe, wenn keine gesetzlichen Erben der 2. Ordnung nach § 1925 BGB bestehen. Hierzu zählen die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Geschwister, Neffen, Nichten und deren jeweilige Kinder.

Das Übersehen dieser Vorschrift kann in der Praxis weitreichende Folgen haben. In einem von uns bearbeiteten Fall, der letztlich noch gut ausging, hätte die Ausschlagung der Kinder zur Folge gehabt, dass eine Schwester des Erblassers, zu der kein Kontakt bestand und die – wenn überhaupt noch – in Russland lebte, Miterbin geworden wäre. Das hätte in der Praxis zu erheblichen Abwicklungsschwierigkeiten geführt. Insbesondere wäre eine dem Erblasser gehörende Immobilie jedenfalls zeitweise nicht verkehrsfähig gewesen.

Erschwerend kommt in diesen Fällen hinzu, dass der Bundesgerichtshof (BGH) (B. v. 22.03.2023, IV ZB 12/22) entschieden hat, dass eine „lenkende“ Ausschlagungserklärung, die „fehlgeschlagen“ ist und eine nicht beabsichtigte Rechts- und Erbfolge verursacht hat, nicht nachträglich durch Anfechtung wieder aus der Welt geschafft werden kann. Mit dem Instrument der „lenkenden“ Ausschlagung sollte daher mit höchster Vorsicht und sehr zurückhaltend umgegangen werden.

Gerade noch gut gegangen

Einen glücklichen Ausgang hatte das Ganze in dem bereits erwähnten, von uns bearbeiteten Fall (Oberlandesgericht (OLG) Hamm, B. v. 30.08.2024, I‑X W 141/23). In diesem Fall war der Vater ohne eine Verfügung von Todes wegen zu hinterlassen verstorben. Die Familie war sich einig darüber, dass die eingetretene Rechtsfolge (Ehefrau Erbin zu ½ und die beiden Kinder zu je ¼) nicht den Wünschen des Erblassers entsprochen habe. Der zur Beratung aufgesuchte Notar klärte die Beteiligten kurz nach dem Tod des Vaters über die eingetretene Erbfolge auf und erklärte den Beteiligten auch, dass sie die Erbschaft nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen ausschlagen könnten. Der Notar versäumte es allerdings, sich nach Verwandten der 2. Ordnung zu erkundigen und übersah damit die bereits erwähnte Schwester in Russland.

Die Töchter des Erblassers entschieden sich daher dazu, die Erbschaft nach ihrem Vater „lenkend“ auszuschlagen. Allerdings konnte aufgrund von Terminschwierigkeiten – im Nachhinein zum Glück – innerhalb von sechs Wochen nach dem Tod eine Ausschlagung vor dem Notar nicht erklärt werden. Der Notar versuchte daraufhin die lenkende Ausschlagung dadurch zu bewirken, dass die Töchter die Annahme der Erbschaft anfochten, sodass diese gemäß § 1957 Abs. 1 BGB nachträglich entfallen wäre. Als vorgeschobene Begründung sollten die Töchter erklären, dass sie von der 6‑wöchigen Ausschlagungsfrist keine Ahnung gehabt hätten, was einen tauglichen Anfechtungsgrund dargestellt hätte, wenn es denn zutreffend gewesen wäre.

Nachdem das Amtsgericht – Nachlassgericht – Einwände gegen die Erteilung eines Alleinerbscheins der Mutter vorgebracht hatte, weil Angaben zu etwaigen Geschwistern des Erblassers fehlten, wurde dem Notar sein Fehler bewusst. Er versuchte abermals die Situation dadurch zu retten, dass die Töchter nunmehr die Anfechtung der Annahme anfechten sollten, mit der Begründung, dass sie nicht gewollt hätten, dass ihre Tante Miterbin werde. Diese Begründung allein hätte aufgrund der oben bereits vorgestellten BGH-Rechtsprechung aber wohl keinen Erfolg gehabt.

Zum Glück für die Beteiligten hatte der Notar aber bereits in dem ersten Beratungsgespräch darauf hingewiesen, dass es eine 6‑wöchige Frist zur Ausschlagung der Erbschaft gäbe. Tatsächlich kannten die Töchter also die 6‑wöchige Ausschlagungsfrist und konnten die Annahme der Erbschaft nicht mehr wirksam anfechten. Das hat das OLG Hamm letztlich auch zutreffend festgestellt, sodass Mutter und Kindern nunmehr ein gemeinschaftlicher Erbschein zu erteilen ist.

Unangenehm dürfte die Sache nur für den beurkundenden Notar werden. Dieser hat durch den vermeintlichen Kunstgriff der „lenkenden“ Ausschlagung einen Fehler begangen und müsste daher die unnützerweise angefallenen Beurkundungs-, Rechtsanwalts- und Gerichtskosten tragen.

Darüber hinaus zeigt das aufgezeigte Beispiel noch einmal, dass man sich bei konkreten Vorstellungen über den eigenen Nachlass frühzeitig Gedanken über ein Testament oder anderweitige Verfügung von Todes wegen machen und dieses mit Hilfe eines Rechtsanwalts oder Notars auch umsetzen sollte. Denn gerade im Erbrecht gilt: Nur der formgerecht niedergelegte Wille, wird als letzter Wille auch akzeptiert.