How to dismantle an Italian Torpedo

Gerichtsstandsklauseln sind nicht nur in nationalen Verträgen üblich, sondern insbesondere auch im internationalen Handel. Während bei rein nationalen Verfahren die Erhebung einer Klage vor einem anderen, als dem vereinbarten Gericht wenig Ungemach bereitet, ist dies bei internationalen Handelsgeschäften anders: Die Klage vor einem womöglich weit entfernten Gericht, das erhebliche Zeit benötigt, um auch nur seine Unzuständigkeit festzustellen, können sich böswillige Schuldner zunutze machen, um eine zeitnahe Verurteilung zu verhindern.

Wenn in derselben Sache bereits zuvor bei einem anderen Gericht ein Verfahren anhängig gemacht wurde, hat grundsätzlich ein später angerufenes Gericht sein Verfahren so lange auszusetzen, bis die (Un-)Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Für grenzüberschreitende Sachverhalte ergibt sich diese allgemein anerkannte sog. lis pendens-Regel etwa für alle Gerichte in den Europäischen Mitgliedsstaaten aus Art. 29 Brüssel Ia-VO.

Diese lis pendens-Regel wurde in den späten 1990er-Jahren durch den italienischen Anwalt Franzosi als disruptives Mittel in der Prozessführung erkannt. Mit Blick auf Patentverletzungsverfahren sah Franzosi die Möglichkeit, angedrohte Gerichtsverfahren dadurch zu behindern, dass der Verletzer dem Inhaber des Patentrechts zuvorkommt und von sich aus eine negative Feststellungsklage bei einem italienischen Gericht einbringt.

Nach der lis pendens-Regel wird auf diese Weise die Entscheidung über eine (später eingebrachte) Verletzungsklage in allen anderen Europäischen Mitgliedsstaaten für die Dauer der Anhängigkeit des Verfahrens über die negative Feststellungsklage verhindert. In manchen europäischen Justizsystemen kann selbst das Verfahren zur Feststellung der eigenen Unzuständigkeit mitunter viele Jahre dauern. Ein Beispiel unter vielen ist die EuGH-Rechtssache Castelletti (Urt. v. 16.03.1999, C-259/97). Das dort angerufene (italienische) Gericht benötigte acht Jahre, um seine Unzuständigkeit festzustellen. Franzosi prägte für diese Möglichkeit der böswilligen Verschleppung von Verfahren durch die bewusste Anhängigmachung von Klagen in einem bekanntermaßen langsam arbeitenden Justizsystem den Begriff des „Italian Torpedo“.

Der Europäische Verordnungsgeber erkannte das grundlegende Problem und änderte im Rahmen der Überarbeitung der Europäischen Zuständigkeitsverordnungen die lis pendens-Regel dahingehend ab, dass für den Fall, dass ein gemäß einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbartes Gericht angerufen wird, jedes andere, also auch ein zuvor angerufenes Gericht das Verfahren auszusetzen hat, bis das auf Grundlage der Vereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es nach der Vereinbarung nicht zuständig sei. Erklärt sich das in der Vereinbarung genannte Gericht für zuständig, so haben sich alle anderen Gerichte für unzuständig zu erklären. Das vereinbarte Gericht muss im Fall seiner Anrufung seine Zuständigkeit aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung sofort prüfen und weder auf eine endgültige (Unzuständigkeits-)Entscheidung noch auf eine Aussetzung des Verfahrens durch das zuerst angerufene Gericht warten („umgekehrte“ lis pendens-Regel).

Damit war jedoch nur der metaphorische Sprengkopf des „Italian Topedo“ entschärft, seine disruptive Wirkung blieb – in geringerem Umfang, aber doch – bestehen. Die Auseinandersetzung mit dem vereinbarungswidrig angerufenen Gericht verursacht Kosten, die selbst im Falle des Obsiegens der vereinbarungstreuen Partei bisher nicht oder aber nicht vollständig ersetzt werden mussten. Es bestand zwar Einigkeit dahingehend, dass es den Parteien einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung freisteht, Schadensersatzansprüche oder eine Vertragsstrafe für den Fall ihrer Missachtung zu vereinbaren. Ohne eine solche spezielle Abrede sollte – jedenfalls nach der vorherrschenden Rechtsansicht – eine Gerichtsstandsvereinbarung keine verpflichtende Wirkung entfalten, sodass mit der Verletzung keine Ersatzansprüche hinsichtlich der entstandenen Rechtsverfolgungskosten begründet werden konnten.

Mit seinem Urteil bricht der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 17.10.2019, III ZR 42/19) nun mit dieser bisher in Deutschland herrschenden Rechtsansicht und führt so eine Rechtslage herbei, wie sie etwa im anglo-amerikanischen Rechtskreis und in Spanien anerkannt ist. Der BGH geht nunmehr davon aus, dass auch eine Gerichtsstandsvereinbarung verpflichtende Wirkung habe. Bei einer Verletzung der Vereinbarung stehe daher, so die Karlsruher Richter, der abredetreuen Partei ein Anspruch auf Ersatz der Rechtsverfolgungskosten gegen die andere Partei zu.

Die Entscheidung ist schon allein deshalb zu begrüßen, weil sie der üblichen zivilrechtlichen Dogmatik und auch dem gesunden Rechtsgefühl eines jeden Vertragsschließenden entspricht. Gerichtsstandsvereinbarungen sind letztlich nichts anderes als bindende Verträge – und Verträge sind einzuhalten. Die schadensersatzbewehrte Verpflichtungswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung von einer dahingehenden speziellen Abrede abhängig zu machen, würde ihre vertragliche Natur entwerten. Im Falle eines Kaufvertrags würde schließlich auch niemand eine zusätzliche Vereinbarung dahingehend verlangen, wonach die Einhaltung des Vertrags verpflichtend sei und eine schuldhafte und rechtswidrige Pflichtverletzung zu Schadensersatz führe: Ein Vertrag ohne Bindung und ohne Schadensersatz im Verletzungsfall würde schlicht nicht als Vertrag wahrgenommen. An dieser an sich simplen Logik führt kein Weg vorbei.

Für die vollständige Entschärfung der „Italian Topedos“ sind damit nur mehr zwei Drähte zu trennen, nur mehr zwei Probleme zu lösen: Welches Recht ist auf die abredewidrige Rechtsverfolgung vor ausländischen Gerichten anzuwenden? Und wie ist der erlittene Schaden zu bemessen? Die erste Frage dürfte dabei vergleichsweise einfach zu beantworten sein. Es gilt das Recht am gewählten Gerichtsstand. Der Zirkelschluss – das gewählte Recht entscheidet darüber, ob es gewählt und sodann verletzt wurde und daher ein Schadensersatzanspruch verwirkt wurde – ist gewollt und liegt in der Natur der Sache. Die Parteien haben diesen Gerichtsstand bzw. die Anwendung dieses Rechtes gewollt und sich darauf eingestellt. Dem Parteiwillen ist zu folgen.

Die Frage der Schadensbemessung dürfte daher in der Praxis die größten Schwierigkeiten bereiten. Der BGH gibt hier allerdings erhebliche Hilfestellung, indem er darauf verweist, welche Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung erforderlich waren. Im Rahmen dieser Prüfung werden die befassten Gerichte (nur) der Frage nachgehen müssen, zu welchen Ausgaben sich die redliche Partei aufgrund ihrer Beklagtenrolle im Ausland herausgefordert fühlen durfte. Der Umfang des ersatzfähigen Schadens dürfte zudem vom Streitwert abhängen. Je höher der wirtschaftliche Schaden im Falle des Unterliegens ist, desto umfangreichere Vorbereitungen wird man der redlichen Partei erlauben müssen.

  • Prof. Dr. Thomas Thiede, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Deutsches und europäisches Kartellrecht / Fusionskontrolle
    • Honorarprofessor der Karl-Franzens-Universität Graz