Erleichterte Abberufung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft

Im Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) kann ein Geschäftsführer bekanntlich jederzeit auch ohne Vorliegen eines (wichtigen) Grundes als Geschäftsführer abberufen werden (§ 38 GmbHG). Wenn dem Geschäftsführer – was rechtlich zulässig ist – in der Satzung ein Recht auf Geschäftsführung zuerkannt wurde, dann kann er nur aus wichtigem Grund abberufen werden. Die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes liegt bei der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern, die über die Abberufung (ohne den Betroffenen) beschließen.

Anders ist dies im Recht der Aktiengesellschaft. Dort werden Vorstände in der Regel nur für einen befristeten Zeitraum bestellt (3 Jahre oder maximal 5 Jahre). Innerhalb dieser Amtsperiode kann der Aufsichtsrat, der für die Bestellung und die Abberufung von Vorstandsmitgliedern allein zuständig ist (und nicht die Hauptversammlung), das Vorstandsmitglied nur aus wichtigem Grund abberufen (§ 84 Abs. 1 Aktiengesetz [AktG]). Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat den Vorstand abberufen, wenn dem Vorstand durch einen Beschluss der Hauptversammlung das Vertrauen entzogen worden ist; von diesem letzten Punkt (Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung) gibt es nur dann eine Ausnahme, wenn der Vertrauensentzug „aus offenbar unsachlichen Gründen“ erfolgte (§ 84 Abs. 3 AktG). Diese gesetzliche Regelung ist zwingend, d. h. sie kann durch die Satzung nicht verändert werden (§ 23 Abs. 5 AktG).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Vorschrift jetzt in einer viel beachteten, aber auch viel kritisierten Entscheidung sehr exzessiv zu Lasten der betroffenen Vorstände ausgelegt (Urteil vom 15.11.2016). Der BGH stellt fest, dass der Aufsichtsrat bei einem Hauptversammlungsbe-schluss, mit dem einem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzogen wird, seinerseits kein Ermessen mehr hat, ob er den Vorstand abberuft. Vielmehr sei der Aufsichtsrat an den Hauptversammlungsbeschluss gebunden. Dies ist durchaus zweifelhaft, weil der Wortlaut des Gesetzes ein Ermessen des Aufsichtsrats nahe legt („kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied … widerrufen“). Der BGH stellt des Weiteren fest, dass das betroffene Vorstandsmitglied nicht einmal angehört werden muss. Die Anhörung sei grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf der Bestellung. Der Aufsichtsrat müsse allenfalls prüfen, ob der Ausnahmefall vorliegt, dass die Hauptversammlung den Vertrauensentzug aus offenbar unsachlichen Gründen vorgenommen hat. Hierzu stellt der BGH fest, dass ein Hauptversammlungsbeschluss, mit dem einem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzogen wird, nicht begründet werden muss. Ein Vertrauensentzug aus unsachlichen Gründen liegt noch nicht vor, wenn sich die (nicht angabepflichtigen, aber möglicherweise freiwillig angegebenen) Gründe als sachlich bzw. objektiv falsch erweisen.

Diese Entscheidung wird in der Literatur teilweise massiv kritisiert. Zum einen wird beanstandet, dass die Kompetenz des Aufsichtsrates bei Vorliegen eines Hauptversammlungsbeschlusses praktisch aufgehoben wird. Angesichts des immer wieder anzutreffenden Sachverhalts, dass – bei niedriger Aktionärsbeteiligung – zufällige oder wechselnde Hauptversammlungsmehrheiten zustande kommen können, ist es rechtspolitisch durchaus zweifelhaft, ob die faktische Abschaffung der Aufsichtsrats-Verantwortung für die Vorstandsbestellung und Vorstandsabberufung sachgerecht ist. Darüber hinaus erscheint es nach unserer Rechtskultur (Audiatur et altera pars) durchaus zweifelhaft, ob ein Organ wie der Aufsichtsrat, welches über die Abberufung zu entscheiden hat, den Betroffenen nicht einmal anhören muss, um im Unternehmensinteresse eine sachgerechte Entscheidung vornehmen zu können.

Faktisch läuft die Entscheidung des BGH darauf hinaus, dass in Bezug auf die Abberufung von Vorständen kein Unterschied mehr zur GmbH besteht, was der Gesetzgeber gerade nicht gewollt hat.

Für die Praxis ist diese Entscheidung aber bis zu einer anderslautenden Entscheidung des BGH anzuwenden.